Die MotoGP-Dienstfahrzeuge von KTM für die Saison 2022
© KTM Images / Philip Platzer
MotoGP

MotoGP vs. Straßen-Bike: Zwei Welten im Vergleich

Was unterscheidet eine Renn-Maschine von deinem Motorrad? Eigentlich fast alles...!
Autor: Martin Datzinger
4 min readaktualisiert am
Eines gleich vorweg: Die MotoGP-Prototypen gibt es nicht zu kaufen – aber geschätzt werden die Dienstfahrzeuge von Marc Márquez & Co auf einen Wert von 2 Millionen Dollar aufwärts. Pro Stück! Immerhin sind es unangefochten die mächtigsten einspurigen Boliden, die derzeit auf Rennstrecken unterwegs sind.. Was macht eigentlich den Unterschied zu jenen Motorrädern aus, die du um ein Hundertstel dieses Preises kaufen kannst und fahren darfst? Ein Vergleich:
Miguel Oliveira und seine KTM RC16

Miguel Oliveira und seine KTM RC16

© KTM Images / Rob Gray (Polarity Photo)

Motor

Die 1000 cm³ Hubraum der MotoGP und Vierzylinder-Bauweise sind auch bei den großen Straßen-Maschinen Standard, also wo kommt die Mehrleistung her? Zunächst rauben weder Katalysator, noch Schalldämpfer Kraft. Den Rest besorgen nutzbare Drehzahlen von bis zu 19.000 U/min, ermöglicht durch pneumatische Ventilsteuerung: Druckluft schließt die Motorventile schneller und verlässlicher, als es vergleichsweise träge Metallschraubenfedern könnten. Im Rennsport ist diese Technologie essentiell, für die Straße schlicht unbrauchbar.

Getriebe

Aus der Formel 1 stammt das sogenannte Seamless Getriebe. Diese elektromechanischen Wunderwerke vollziehen den Wechsel der Gangstufen quasi verschliffen, ohne Kupplungseinsatz und Zugkraftunterbrechung. Davon profitieren Traktion und Fahrer, nicht unerheblich bei 500 bis 800 Schaltvorgängen pro Rennen.
Auf der Rennstrecken üblich: Die „verkehrte” Bedienung des Gangwahlhebels, das heißt erster Gang rauf, Rest runter. Nur so funktioniert das Hochschalten in Schräglage. Die Übersetzungsverhältnisse werden natürlich Rennen für Rennen angepasst.

Bremsen

Für Straßenmotorräder sind Metall-Bremsscheiben ausreichend, doch ein MotoGP Fahrer zieht bis zu 30% der Rennzeit am Bremshebel. Die Lösung lautet Carbon-Keramik-Bremsscheiben für das Vorderrad. Sie messen je nach Strecke 320 oder 340 mm Durchmesser, sind leichter und vertragen wesentlich höhere Temperaturen – 800 statt 600 °C ohne Fading. Bei Regen wird hingegen Stahl verwendet, denn Carbon käme nicht auf Arbeitstemperatur. ABS, wie in der Serie inzwischen üblich, gibt es in der MotoGP übrigens nicht.
Brembo Carbon-Bremsscheiben für die MotoGP

Brembo Carbon-Bremsscheiben für die MotoGP

© Brembo

Reifen & Räder

Profillose Slicks sind auf der trockenen Rennstrecke Usus, auf der Straße wegen der Unfahrbarkeit bei Nässe illegal. Die Reifenmischungen unterscheiden sich je nach Strecke erheblich, am Sachsenring brachte Michelin erstmals einen asymmetrischen Aufbau zum Einsatz. Felgen werden aus ultraleichtem Magnesium angefertigt, ihr Durchmesser beträgt seit 2016 die handelsüblichen 17 Zoll (statt 16,5) – mit ein Grund für das schwierigere Handling der Bikes.
Winglets und Devices
Vor allem Ducati hat bei der Entwicklung der Bikes in den vergangenen drei Jahren Vollgas gegeben und sowohl die Winglets als auch Ride-Height-Devices erfunden. Die neuen Flügel machen die Motorräder zwar stabiler und schneller, sorgen in den Zweikämpfen aber für aerodynamische Turbulenzen und machen Überholmanöver extrem schwer. Die mögliche Absenkung des Fahrwerkes je nach Rennsituation (Ride Height) wiederum benötigt bis zu 12 Knöpfe am Lenker und setzt sogar die besten Fahrer der Welt unter Druck. Für den Straßenverkehr ist das völlig undenkbar und wird auch in der MotoGP ab 2023 großteils wieder verboten...

Fahrwerk & Chassis

1.5 g Bremsbeschleunigung und Schräglagen von über 60 Grad – Schwerarbeit für die Vorderradaufhängungen in der MotoGP. Deshalb sind die Upside-down-Gabeln mit 48mm deutlich stärker als gewöhnlich. Federrate, Vorspannung und Dämpfung (Zug- und Druckstufe getrennt) ist wie beim Federbeinen im Heck einstellbar. Elektronische Dämpfungssteuerung ist verboten, für die MotoGP aber ohnehin zu langsam.

Karosserie & Packaging

Die Hüllen von MotoGP-Prototypen sind selbstverständlich aus federleichter Kohlefaser gefertigt – unvorstellbar in der Massenfertigung. Bei der Gewichtsverteilung und Aerodynamik kann ein Prototyp ebenfalls aggressivere Wege beschreiten. Ein straßenzugelassenes Bike schleppt eine voluminöse Abgasanlage, sowie Dinge wie Startermotor, Licht, Soziussitz und eine großen Batterie mit.

Sensorik & Traktionskontrolle

40 bis 50 Sensoren trägt ein MotoGP Motorrad, vom Reifendruck über verschiedene Motorparameter, Chassisbalance, Schräglage, Position bis hin zu den Drehgeschwindigkeiten von Vorder- und Hinterrad. Einige füttern die Elektronik der Motorsteuerung, die 2016 stark vereinheitlicht und vereinfacht wurde und die Teams so vor Herausforderungen gestellt hat. Genauso wie käufliche Traktionskontrollen verhindert sie Wheelies und Highside-Crashes, ist in der Rennsportversion hinsichtlich Präzision und sanfter Arbeitsweise aber weit überlegen.

MotoGP-Bikes für jeden

Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist und knapp 190.000 Euro im Sparschwein hat, für den haben wir gute Neuigkeiten: MotoGP-Technik ist doch käuflich! Honda (RC213V-S) und KTM (RC16) bieten eine straßentaugliche Replika ihres WM-Motorrads an, so wie es einst Ducati mit der Desmosedici RR getan hat. Freilich ohne pneumatische Ventilsteuerung, Slicks und Carbonbremsen, dafür mit Schalldämpfer, Scheinwerfer, Blinkern, Spiegel, Hupe und Nummerntafelhalter...

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