Music

Und dann ging das Neonlicht an

Wie die New-Wave-Kultur aus dem Rockbassisten Johann Hölzel den Superstar Falco machte.
Autor: Gerhard Stöger
6 min readveröffentlicht am
Um 1980 war Wien eine graue Stadt.

Um 1980 war Wien eine graue Stadt.

© Michael Snoi

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heißt es. Für dieses eine Bild gilt das auf alle Fälle. Wobei hier sogar Worte im Spiel sind. „Wien du tote Stadt“ lauten sie, in weißen Großbuchstaben auf den Rücken einer schwarzen Lederjacke geschrieben.
Michael Snoj alias Kodak hat dieses legendäre Schwarz-Weiß-Foto mit der Rückenansicht eines Wiener Punks einst auf dem Naschmarkt gemacht. Es transportiert, was subkulturelle Zeitzeugen in die mehr als tausend sprichwörtlichen Worte packen. Dass sich das Leben in der Bundeshauptstadt Ende der 1970er genau so angefühlt hat, wie es alte „Kottan“-Folgen eingefangen haben: grau in grau, trist, verschnarcht und langweilig. Wien war weniger eine Metropole der westlichen Welt als vielmehr die letzte Tankstelle vor dem Eisernen Vorhang.
Die New-Wave-Kultur änderte das nachhaltig. Sie knipste auch in Wien das Neonlicht an und überzog die Stadt mit Farbklecksen, die bis heute nachwirken.
Unter dem Do-it-yourself-Credo des Punk erblühte die lokale Musikszene. Unabhängige Plattenlabel entstanden, Medien wie die Zeitgeist-Postille Wiener, Szene-Plattenläden wie Ton um Ton oder Dum Dum und neue Lokale wie das U4 oder die Blue Box, in der später Teile des Videos zu Falcos Welthit „Rock Me Amadeus“ gedreht werden sollte.
Wien erlebte in diesen schnellen Jahren einen Modernisierungsschub, der sich auch auf Mode, Kunst und Kino auswirkte. „Wir ham des richtige Weltbild, wir san ob heit voll dabei“, fasste Falco das 1981 auf der B-Seite seines ersten Hits „Der Kommissar“ prägnant zusammen. „Wir ham den Blick in der Zukunft, wir san die Helden von heit.“
Die Blue Box

Die Blue Box

© Herbie Molin

„Punk bedeutete Geschwindigkeit und Licht“, fasst Thomas Kramar, Feuilleton-Chef der Tageszeitung Die Presse, seine kulturelle Prägung im Wien der späten 1970er zusammen. „Lokale wie Gärtnerinsel, Café Wienzeile oder Jazzspelunke waren davor dunkle, verrauchte Höhlen, wo als zentrales Element auf jedem Tisch eine leere Dopplerflasche mit einer Kerze stand, die heruntergetropft ist. Alles war ruhig, man redete möglichst wenig und wenn, dann ganz langsam: ‚Pfoah, i waaß ned, wos moch ma?‘ Man kaufte indische Schals und Räucherstäbchen und hörte Leuten zu, die nach Indien aufbrechen wollten.
Der entscheidende Wechsel war dann, als man plötzlich nicht mehr nach Indien, sondern nach Berlin aufbrach.“ Die Band Blümchen Blau übersetzte dieses Gefühl in einen Songtext: „Das Schönste jetzt in Wien ist der Schnellzug nach Berlin.“
Im Unterschied zu anderen Metropolen stand der von einer Handvoll Kundiger ab 1977 aus London importierte Punk hier nicht für einen radikalen Gegenentwurf zur Hippiekultur. Wien war keine Stadt der harten Brüche, sondern eine der sanften Übergänge; anstatt subkultureller Generationenkämpfe dominierten Zweckbündnisse und Schulterschlüsse.
Englischsprachige Singleversion von „Ganz Wien“

Englischsprachige Singleversion von „Ganz Wien“

© Wickerl Adam

Als Falco – er hatte davor selbst einige Zeit in Berlin verbracht – 1979 erstmals in ein Tonstudio ging, um als Bassist der Gruppe Drahdiwaberl zwei Lieder für den Sampler „Wiener Blutrausch“ aufzunehmen, fand er sich im Bisamberger Schmetter-Sound-Studio der schwer hippiesken Polit-Folk-Band Schmetterlinge wieder. Auch Drahdiwaberl selbst, die wüsten Rockaktionisten um den Kunstprofessor Stefan Weber, waren kein Produkt der neuen Welle. 1969 gegründet, lagen ihre Wurzeln vielmehr in der Gegenkultur der Sixties. Allerdings brauchte es die Initiative des Punk, um diese Subkultur-Altspatzen endlich auf Tonträger zu bannen.
„Wiener Blutrausch“ geriet zu einem seltsamen Mischmasch. Neben Drahdiwaberl war aus der Abteilung der Frank-Zappa-Verehrer noch die Jazzrockband Metzlutzkas Erben vertreten. Gegenüber standen ihnen Wiens erste Punkband Chuzpe und die rotzige Mordbuben AG. Irgendwo dazwischen tummelten sich die kühlen New-Wave-Romantiker Minisex, deren Sänger Rudi Nemeczek zu den Initiatoren der Platte gehörte – nicht lange davor war er noch Teil einer Progrockband gewesen.
Auch Eberhard Forcher, ein osttiroler Lehrer, der sich bei der jungen Wiener Stadtzeitung Falter gerade als Musikkritiker neu erfunden hatte, wirkte am „Blutrausch“-Sampler mit – als Autor der Linernotes. „Die Gruppen, die auf dieser Platte zu hören sind, sind keine Gemachten, sondern aus den eigenen Bedürfnissen gewachsene Musikerkollektive, die – fernab vom Ö3 bekannten Alpinschmarrn – eine Verbindung suchen zwischen hartem Rock und neuen Musiktendenzen einerseits und engagierten, kritischen Inhalten andererseits“, schrieb er.
Präsentiert wurde „Wiener Blutrausch“ im Metropol, einem bis heute bestehenden Kleinkunstlokal in der Wiener Vorstadt. Auftrittsorte für junge Bands waren in der Stadt der Klassiktempel, Jazzklubs und Kommerzdiscos, der Kaffeehäuser und des Austropop eben rar – man nahm, was man kriegen konnte.
Bald darauf wurde Forcher als Tom Petting selbst Musiker und gründete mit Rudi Nemeczek das New-Wave-Label Schallter, auf dem unter anderem auch Hansi Lang, Peter Weibels Artrockband Hotel Morphila Orchester und die Wiener Neustädter Postpunkband X-Beliebig veröffentlichten. Das andere wichtige Indielabel dieser Zeit hieß GiG Records, der Journalist und Plattenladenbetreiber Markus Spiegel hatte es mit Wolfgang Strobl, einem Kenner der Wiener Punkszene, gegründet.
Singleveröffentlichungen von lokalen Untergrundbands wie The Vogue oder Chuzpe wurden Achtungserfolge, mit „Psychoterror“, dem Debütalbum von Drahdiwaberl, zündete dann eine Rakete ungeahnten Ausmaßes. Weniger wegen der Band selbst als vielmehr wegen ihres Bassisten, dessen schon von Konzerten bekanntes Solostück „Ganz Wien“ hier enthalten war. „That Scene“, die englischsprachige Singleversion dieser Drogenhymne, floppte zwar, bereits die zweite Falco-Single „Der Kommissar“ geriet aber zum Millionenseller, und das von Robert Ponger kongenial produzierte Album „Einzelhaft“ wurde 1982 zum ganz großen Wurf, künstlerisch wie kommerziell.
Wegweisend: die Hallucination Company

Die Hallucination Company

© Wickerl Adam

Falco war der personifizierte Zeitgeist, das weit über Österreich hinaus strahlende Aushängeschild des Wiener New-Wave-Geschehens. Ein wirklich junger Wilder war er als 1957 Geborener indes nicht mehr – und auch keiner dieser „Genialen Dilletanten“, sondern ein am Konservatorium ausgebildeter Musiker, der sein Bassspiel und sein Bühnenauftreten neben Drahdiwaberl noch bei der Rocktheatertruppe Hallucination Company und der Kommerz-Tanzband Spinning Wheel erprobt hatte.
„Rund um unser erstes gemeinsames Konzert gab es zwei Wochen, in denen er jeden Tag beim Frisör war und mit einer anderen Frisur dahergekommen ist“, erinnert sich der Gitarrist Peter Vieweger, der bei Drahdiwaberl und Spinning Wheel mit Falco gespielt hatte und später jahrelang dessen Band leitete. „Die Bandprobe wurde zum Schaulaufen, bei dem unser Tenor für gewöhnlich ‚oje, na‘ lautete. Eines Tages aber kam Falco mit Pomade im Haar daher, ganz zackig, und allen war klar: Das ist es! Ab da war er dann der Coole.“
Es sollte nicht lange dauern, bis Falco diese Coolness und seine ureigene Interpretation des Wiener Schmähs in die Welt hinaus trug.
Gerhard Stöger ist Musikredakteur der Wiener Stadtzeitung Falter und – mit Florian Obkircher, Thomas Mießgang und Walter Gröbchen – Autor des Buches „Wienpop“ (Falter Verlag, 2013), das die Geschichte der Wiener Popmusik von den 1950er-Jahren bis zur Jahrtausendwende erzählt.