Frankfurter Rap prägt die deutsche Jugendsprache - und Deutschrap-Legende Haftbefehl ist einer der Gründe dafür.
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Baba Haft ist zurück: Die 14 wichtigsten Songs von Haftbefehl

"Album kommt". Selten hat eine simple Aussage so viel Gewicht wie in diesem Fall, wenn der vielleicht wichtigste Straßenrapper der letzten zehn Jahre sich zurückmeldet. Wir bereiten euch vor!
Autor: Ralf Theil
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Fünf Jahre sind eine lange Zeit im Rapgeschäft. Gerade im Straßenrap ist man heute so darauf konditioniert, wöchentlich neues Playlistfutter und Minimum ein Album pro Jahr serviert zu bekommen, dass man Warterei gar nicht mehr gewohnt ist. Aber es geht auch anders, und das beweist eine Ikone des Genres: Haftbefehl hat in den letzten zehn Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass Straßenrap in Deutschland so riesig werden konnte und nicht nur kommerziell, sondern auch popkulturell ganz vorne steht.
2015 erschien mit "Unzensiert" sein letztes Mixtape, 2014 sein letztes Soloalbum "Russisch Roulette". Seitdem stellt Haftbefehl unsere Geduld auf die Probe – bis jetzt, denn die erste Single aus "Das weiße Album" (kommt am 24. April 2020) ist da und wir sind wieder mittendrin in einer Offenbacher Rap-Geschichte. Hier sind zur Einstimmung die bisherigen Highlights einer turbulenten Karriere.

Bolon (2020)

Es ist ja zuallererst so: wenn Baba Haft nach gut fünf Jahren endlich ein neues Album auf die Menschheit loslässt, halten einfach mal alle kurz die Luft an. „Bolon“.

RADW (2020)

Richtiger Doppel-Punch: mit „Bolon“ zurückmelden und dann mit „RADW“ (kurz für: Rücken an der Wand) alles kurz und klein schlagen. Der Beweis, dass die Eröffnungssalve für die „Russisch Roulette“-Kampagne damals in ihrer Intensität nicht uneinholbar ist.

Chabos wissen wer der Babo ist (2013)

Wenn man verstehen will, welche Bedeutung Haftbefehl in Rapdeutschland hat, muss allerdings etwas weiter zurückschauen. Mindestens bis nach 2013, finden wir. Denn selten hatte ein deutscher Rapper so einen eindeutigen Next-Level-Moment wie Haftbefehl mit „Chabos wissen wer der Babo ist“. Dabei war er schon lange kein Unbekannter mehr, hatte zwei Alben draußen und ein paar veritable Straßenklassiker auf dem Konto. Aber „Chabos“ war nicht weniger als eine Explosion, eine Urgewalt, ein Instant Classic, wie es ihn nur alle Jubeljahre gibt. „Chabos“ war ein ungeahntes Slang-Gewitter und wurde über Nacht selbst zum Slang, der Farhot-Beat bleibt loco bis ins nächste Jahrzehnt und wir stehen dazu: Wenn morgen ein Alien auf der Erde landet und Rap verstehen will, wäre „Chabos“ der erste Song auf dem Mixtape, das wir überreichen würden. Mit einer freundlichen Ermahnung: „Muck bloß nicht uff hier, du Rudi/Nix mit Hollywood, Frankfurt, Brudi.“

Hungrig und stur (2009)

Aber – wisst ihr noch? – schon lange vor seinem Chabos-Durchbruch sorgte Haft zum Befehl für Staunen in Insiderkreisen. Im Sommer 2009, in einer Zeit, in der Straßenrap in Deutschland nicht gerade angesagt war, tauchte der Offenbacher im Videoformat „Halt die Fresse“ auf, damals als Schützling von Jonesmann und dessen Label Echte Musik. Ausgerechnet eine Berliner Unterführung war die Kulisse für Haftis fast surreal anmutende Schimpftirade „Hungrig und stur“ – und von Anfang an hatte er die Quotables am Start. Stylish-humorvolle Lines wie „Azzlack dreht ab, auch in der Edeldisco/Du kommst nicht rein, weil du trägst Fishbone“ oder „Mach nicht auf François/Du bist nicht Booba, Bruder“ zementierten sich sofort ins Gedächtnis und standen gleichberechtigt neben vergessen geglaubten Alman-Sprüchen wie „Jetzt geht die Luzi ab, ich hau den Lukas“. Großes kündigte sich an.

Ja Ja Ve Ve/Dann mit der Pumpgun (2010)

Die zwei vielleicht wichtigsten Songs von Haftbefehls Debütalbum „Azzlack Stereotyp“ in einem Splitvideo: Während „Ja Ja Ve Ve“ gerade mal eine Strophe lang schnodderig-herablassend den Rest von Rapdeutschland herabwürdigt (und die Glühbirnen-Schraub-Geste zum Allgemeingut macht), geht Track zwei ins Detail. Wenn nicht mit Rap, klar, dann regelt Haft Dinge „mit der Pumpgun“, garniert mit einprägsamen Einzelbildern aus dem Alltag des Drogenhandels. Und auf einmal wusste jeder, was Kunden aus Aschaffenburg für's Hasch zahlen, um seinen nächsten Einkauf im Louis-Store zu finanzieren.

Sommernacht in Offenbach (2013)

Ungewöhnlich stark war schon auf „Azzlack Stereotyp“ die dunkle, ruhige und verletzliche Seite von Haftbefehl. Mit Songs wie „Azzlacks sterben jung“ oder „Hass – Schmerz“ ließ Haft uns fast unheimlich nah an sich und die weniger heldenhaften Seiten des Streetlife heran. Perfekt aufgelöst wurde diese Spannung kurz vor Ende des Albums mit „Sommernacht in Offenbach“, einer mitternächtlichen Cruiser-Hymne, bei der einem vor lauter Realität mehr als einmal die Versöhnlichkeit im Hals steckenbleibt. Hier übrigens als Brenk-Version, um an das grandiose Remix-Album „The Notorious H.A.F.T.“ zu erinnern.

Mann im Spiegel (2013)

Auch auf „Blockplatin“, Hafts drittem Album, kommt diese persönliche, dunkle Seite zum Vorschein, nirgends deutlicher als auf dem entwaffnenden und hoffnungslosen „Mann im Spiegel“.

Generation Azzlack (2013)

Aber „Blockplatin“ hatte noch viel mehr zu bieten, was völlig zu Unrecht von „Chabos“ überschattet wurde. „Welle hin, Welle her, Tsunami oder was?“ – so fing eine Strophe an, die bis heute nicht leicht nachzuvollziehen, dafür aber um so eindrucksvoller ist. Wie Baba Haft stichwortartig Schellen und mehrsprachige Geistesblitze austeilt, zog auch das Feuilleton und die Germanistik-Studenten an, sprach aber einer „Generation Azzlack“ aus der Seele, die sonst wenig Identifikationsfläche im deutschen Rap hatte. Alle sagten „Cho“, aber eins konnte niemand so richtig beantworten … „woher kommt der Benz, von wo?!“ Achselzuck-Emoji.

Lass die Affen aus'm Zoo (2014)

Uff einfach. Als 2014 „Russisch Roulette“ am Horizont erschien, Haftbefehls Magnum Opus, ballerten die Überhits aus allen Rohren. Rückblickend ist es kaum zu sortieren, was innerhalb weniger Wochen an bizarren Videos, ignoranten Lines und wahnwitzigen Ideen in die Welt gepumpt wurde. Fangen wir doch einfach hier an – und lassen die Affen aus'm Zoo.

Rolle mit meim Besten (mit Marteria, 2014)

… oder doch eher so? „Russisch Roulette“ war voller Highlights, aber kein Song wurde so nachhaltig wie dieser zu einer wutschnaubenden Dampfwalze, die jede Deutschrap-Party überrollt. Auf „Rolle mit meim Besten“ konnte sogar Sonnyboy Marteria mal so richtig schön grimmig werden – und das stand ihm gut, wie dem Sportcoupé im Video die neue Folierung. Fortan gab's Heckmeck – noch so ein staubiges Deutschwort übrigens, das Haft ganz nebenbei zurückbrachte.

1999 Pt. 3

„Leben … Life … Hayat“ – auf einem derart lauten Album wie „Russisch Roulette“ auch die leisen Töne zuzulassen, spricht für die Größe eines Künstlers, und auch dafür, dass er der Welt wirklich etwas mitzuteilen hat. Und so intensiv und schlüssig wie mit der „1999“-Trilogie ist das Haftbefehl sonst nirgends gelungen. Bisher.

CopKKKilla (2015)

Wie aus dem Nichts kündigte Haftbefehl zum Ende des Red Bull Soundclash 2015, bei dem er gegen Sido antrat, ­noch kurz vor Jahresende ein neues Release an. Das Mixtape „Unzensiert“ war stinksauer und stockduster, und direkt vor Ort stellte Haft mit Xatar unter Beweis, dass die Single „CopKKKilla“ imstande ist, wirklich alles kurz und klein zu hauen. Gern geschehen.

Mach die Millen (mit Maaf und Milonair, 2020)

Fast forward: es ist 2020 und schon seit ein paar Monaten macht Haftbefehl sich nun warm für ein neues Album. Dass in so einer produktiven Phase auch komplett überzeugende Fingerübungen wie sein Feature auf dem Track „Mach die Millen“ (von Milonair-Signing Maaf) passieren, ist ein gutes Zeichen, denn Haft wirkt wieder hungrig. Es wurde auch Zeit.

Gestern Gallus heute Charts (2010)

Das war's schon? Kleiner Throwback zu einem fast vergessenen Song von „Azzlack Stereotyp“. Denn war vor zehn Jahren galt, scheint bis auf Weiteres nichts an Aktualität eingebüßt zu haben: „Deutscher Rap ist am Arsch und richtig Blamage/Dein Rap ist Fiat und meiner ist Porsche.“ Das „Gestern“ mag schon ganz schön lange her sein. Aber das Heute, das Baba Haft in den Charts, in Luxuskarossen und im Olymp des deutschen Straßenrap verbringt, dauert noch an. Die ersten zehn Jahre sind bekanntlich die schwersten.