Joe Traxler
© Maximilian Langer
Music

Joe Traxler: Mit dem Schicksal im Gepäck nach London und wieder zurück

Drei Jahre hat der österreichische Musiker in London gearbeitet - getrieben von Willenskraft, Talent und Schicksal. Jetzt ist er zurück und erklärt uns, wie es zu dieser Entscheidung kam.
Autor: Alexander Dollischal
5 min readPublished on
Am 10. September 2015 zieht der österreichische Musiker Joe Traxler nach London. Warum er das tut? "Ich möchte mich selbst als Künstler weiterentwickeln", ist seine direkte und auch recht eindeutige Antwort auf unsere Einstiegsfrage. Dass das Leben in London aktuell eine kostspielige Angelegenheit ist, schüchtert ihn nicht ein - er tritt teilweise mehrmals täglich mit Bands auf und lernt dadurch viele lokale Musiker kennen.
Einige Musiker, mit denen ich Gigs spielte, sind mittlerweile am Weg zum Superstar - wie zum Beispiel Jade Bird, die 2016 noch bei mir im Wohnzimmer aufgetreten ist.
So weit, so gut. Networking funktioniert in London ziemlich ähnlich wie in Österreich und es gibt ein immenses Angebot an Auftrittsmöglichkeiten für aufstrebende Künstler - besonders empfiehlt uns Joe die Sessions in der Troy Bar und im Ciros, die er als "next level" bezeichnet. Außerdem konnte er das Musikernetzwerk von London auch für seine eigene Musik nutzen: Für die Produktion seiner Single "Asymmetrical Life" konnte er Robbie McIntosh (John Mayer, Paul McCartney) und Tom Peel (James Bay) an Bord holen.
Doch das ist noch lange nicht alles. Wir haben uns mit Joe zusammengesetzt, um mit ihm seine dreijährige Reise nach London zu reproduzieren - dazu hat er uns seine schönsten Erinnerungen geschickt und alle unsere Fragen beantwortet. Wirklich alle.

Das erste Jahr

Das Highlight
“Neben den unzähligen Auftritten war definitiv der Release meiner beiden EPs der Höhepunkt des Jahres. 44 war die Hausnummer meiner ersten Wohnung und mein damaliger WG-Kollege und sehr guter Freund Karan Walia ist ein extrem talentierter Produzent - so sind alle Songs in dieser Wohnung geschrieben und vorproduziert worden. Außerdem haben wir regelmäßig Wohnzimmer-Konzerte veranstaltet. Eine wunderschöne Erinnerung, den Umriss der Wohnung hab ich auch auf meinen Arm verewigt.”
Die Lektion
“Ich habe in diesem Jahr extrem viel über mich selbst und meine künstlerische Vision gelernt. Sprachlich war es natürlich auch sehr bereichernd, zahlreiche Songwriting Sessions mit Natives und die Tatsache, dass Leute dort viel mehr auf Lyrics achten, hat den Anspruch an meine Werke immens erhöht. Die beste Lektion der fast täglichen Auftritte war der Umgang mit negativen Erfahrungen und die Tatsache, dass du einen extrem langen Atem brauchst, wenn du wirklich bedeutungsvolle Kunst machen möchtest. ”
Das Fazit
"Das erste Jahr war wahrscheinlich das Spannendste, vor allem weil am Anfang alles neu und aufregend ist. Untertags habe ich Songs geschrieben und produziert und am Abend hab ich fast täglich bei Gigs oder Open Mic Nights gespielt. Häufig waren es auch zwei- oder dreimal mal am Tag, wenn es sich irgendwie ausgegangen ist. Einerseits um Live-Erfahrung zu sammeln und andererseits zum Networken."

Das zweite Jahr

Das Schicksal
“Das zweite Jahr war wohl das Prägendste meines Lebens. Eine schwere Gesichtslähmung, höchstwahrscheinlich als Folge der stressigen Zeit im Vorjahr, hat meinen Alltag stark verändert. Während der ersten sechs Monate konnte ich kaum singen, sprechen oder mein Auge schließen. Dementsprechend war ich nicht wirklich in der Lage, viel rauszugehen und neue Leute kennen zu lernen. Auch neue Gitarrenschüler zu finden, war in dieser Zeit sehr schwierig für mich. Somit war ein weiterer Stressfaktor, irgendwie die utopischen Mietpreise zu bezahlen. Folglich war mein Lebensstandard um einiges niedriger als ich von Österreich gewohnt war. Ich hatte nicht mal ein eigenes Zimmer und meine Mitbewohner waren unter anderem auch Mäuse und Kakerlaken. Das Ganze passierte zu einem unfassbar schlechten Zeitpunkt: Ich musste eine zweiwöchige Irland-Tour und einige wichtige Shows in London absagen und war die meiste Zeit damit beschäftigt, zu recherchieren, was ich gegen meine Erkrankung tun könnte.”
Das Highlight
“Es war für mich von Anfang an klar, diese prägende Lebenserfahrung in einen bedeutungsvollen Song zu verpacken. Das war auch eine große Hilfe für mich, mit meinem Schicksalsschlag umzugehen. Fast das ganze Jahr war der Vorbereitung von ‘Asymmetrical Life’ gewidmet und ich konnte neben den bereits erwähnten Session-Musikern auch Michael Brauer an Bord holen, der von Jeff Buckley bis John Mayer alle meine Lieblingsproduktionen gemischt hat.”
Die Lektion
“So schwierig diese Zeit auch war, so dankbar bin ich für meine persönliche Transformation. Ich begann täglich zu meditieren, mich vegan zu ernähren, mehr Sport zu machen, lernte mit Stress umzugehen und schätze scheinbar selbstverständliche Dinge mehr. Reisen nach Nepal, Hong Kong und Thailand gaben mir viel Zeit, um zu reflektieren und eine neue Perspektive für meine künstlerische Entwicklung zu finden.”

Das dritte Jahr

Das Highlight
"Im dritten Jahr verbesserte sich meine Gesichtslähmung und nach langer Vorbereitung veröffentlichte ich das Musikvideo zu ‘Asymmetrical Life’. Die Rückmeldungen waren überwältigend. Ich bekomme sogar heute noch mehrere Nachrichten am Tag von Leuten auf der ganzen Welt. Teilweise von Leuten, die eine ähnliche Beeinträchtigung haben und durch dieses Video den Mut bekommen haben, selbst zu singen. Das ist ein wunderschönes Gefühl."
Die Lektion
"Ich durfte erfahren, wie wertvoll es ist, mit Kunst eine tiefgründige Message zu verbreiten. Wie so vieles im Leben ist es im Optimalfall ein Geben und Nehmen."
Das Eingeständnis, wieder zurückzukehren
"Es war ein langer Prozess, mich damit abzufinden, dass ich London verlassen werde. Die ersten Pro- und Contra-Listen entstanden mehr als sechs Monate vor dem eigentlichen Umzug. Es war also definitiv gut überlegt und es war Zeit für eine Veränderung."

Die Zukunft

Und was jetzt? Joe ist zurück in Österreich und plant gerade das kommende Jahr: "Ich habe einige aufregende Konzerte anstehen, sowohl mit meinen großartigen Bandkollegen Max Langer, Robin Gadermair und Sakura, als auch solo. Außerdem gibt's bereits einige unveröffentlichte Songs für das Album, das im Laufe des Jahres mit finanzieller Unterstützung des österreichischen Musikfonds fertig werden sollte. Und ich bin von Mai bis Juli auf Tour - von Singapur nach Venedig. Parallel dazu arbeite ich mit meiner besten Freundin aus London, Sakura, an ihren Produktionen, sowie vereinzelt mit anderen Künstlern als Gitarrist, Songwriter und Produzent."
Bevor wir das Interview mit Joe beenden, versichert er uns, dass die Entscheidung nach Österreich zurückzukommen, eine gute Entscheidung war. "Ich genieße meine Lebensqualität, den Platz und Zeit für Kreativität, die finanzielle Freiheit und mein Umfeld zu sehr, um wirklich wieder fix nach London zurückzugehen." Ein Kompliment für Österreich und ein großartiger Musiker, dessen Hauptwohnsitz sich wieder geändert hat. Bis zu seinem nächsten Aufbruch jedenfalls...