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Cliff Diving

Cliff Diving-Guide: Wie man den perfekten Einstieg hinlegt

Die Profis erklären, welche Präzision und Technik nötig sind, um das Wasser optimal zu durchdringen und die maximale Punktzahl zu erreichen.
Autor: Chris Magill & Lucy Debenham
7 min readaktualisiert am
In der Luftfahrt sagt man, dass Start und Landung die kritischsten Phasen des Fluges sind. Es sind diese entscheidenden Momente, in denen Piloten ihr Geld wirklich verdienen, und bei Klippenspringer:innen ist es ähnlich.
Wenn sie ihre Arme aus einer Höhe von bis zu 27 m ausbreiten, müssen sie ihren Körper drei Sekunden lang durch einen akrobatischen Flug steuern, bevor sie mit einer Geschwindigkeit von bis zu 80 km/h im Wasser landen. Schon ein kleiner Fehler beim Einstieg ins Wasser kann zu einem gewaltigen Schlag führen, der sich sowohl auf den Körper als auch auf die Beurteilung auswirkt.
Erfahre mehr über die Kraft, Präzision und Technik, die es braucht, um den perfekten Einstieg zu meistern...
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Die Bedeutung des Einstiegs

Wer die Red Bull Cliff Diving World Series verfolgt, kennt das Geräusch des Kommentators Joey Zuber, der aufgeregt verkündet: "Und das nennt man einen Rip-Entry!"
Es bedeutet, dass ein Cliff Diver sein Manöver in der Luft erfolgreich abgeschlossen hat und mit nur wenig Spritzern ins Wasser eingetaucht ist.
Aber was genau ist ein "Rip Entry" und warum ist er ein wichtiger Teil dieser Eintauchphase?
Aidan Heslop aus Großbritannien springt von der 27-Meter-Plattform während des letzten Wettkampftages der vierten Station der Red Bull Cliff Diving World Series in Takachiho, Japan, am 3. August 2023.

Aidan Heslop

© Ricardo Nascimento/Red Bull Content Pool

Das Wort "Rip" kommt von dem Geräusch, das der Körper macht, wenn er perfekt in den See, Fluss oder Ozean eintaucht. Es ähnelt dem Geräusch von zerreißendem Papier und ist Musik in den Ohren der Athlet:innen, der Kommentatoren und vor allem der Judges.
"Das ultimative Ziel eines Klippenspringers oder einer Klippenspringerin ist es, einen Rip Entry zu machen. Das bedeutet in der Regel, dass sie mit den Füßen zuerst, in gerader Körperhaltung ins Wasser eintauchen und ein Geräusch machen, das sich anhört, als ob Papier zerrissen wird", fasst Red Bull Cliff Diving Juror Simon Latimer zusammen.
Es ist sehr selten, dass ein Sprung ohne Rip Entry eine 10 bekommt.
Simon Latimer
Im Wettkampf zählt jede einzelne Phase des Sprungs. Im Gegensatz zum olympischen Diving, bei dem die Athlet:innen mit dem Kopf voran ins Wasser gehen, müssen sie bei der World Series aufgrund der Höhe und Geschwindigkeit mit den Füßen voran ins Wasser tauchen.
Orlando Duque aus Kolumbien taucht während der zweiten Runde des dritten Stopps der Red Bull Cliff Diving World Series in São Miguel, Azoren, Portugal am 8. Juli 2016 ins Wasser.

Orlando Duque taucht mit voller Körperspannung ins Wasser ein.

© Dean Treml/Red Bull Content Pool

Vor dem Aufprall auf das Wasser ist es notwendig, die Kernmuskulatur anzuspannen und den Körper straff zu halten, damit Schultern, Arme, Rumpf und Beine in einer Linie liegen und der Aufprall so gering wie möglich ist.
"In der Luft ist schon alles passiert und jetzt kommt der letzte Moment. Im Idealfall spritzt es nur wenig, hoffentlich in eine sehr vertikalen Richtung, denn das bedeutet, dass es ein erfolgreicher Einstieg ist", erklärt die Klippenspringer-Legende und Red Bull Cliff Diving World Series-Sportdirektor Orlando Duque.
Wenn der Einstieg ins Wasser falsch ist, kanns sich das negativ auf das Ergebnis und den Körper der Athlet:innen auswirken. Eine leichte Unter- oder Überdrehung bei 80 km/h kann letzteren aus dem Gleichgewicht bringen und das Verletzungsrisiko insgesamt erhöhen.
Molly Carlson aus Kanada springt von der 21-Meter-Plattform während des ersten Stopps der Red Bull Cliff Diving World Series in Boston, USA am 2. Juni 2023

Molly Carlsons Sprung im Detail.

© Dean Treml/Red Bull Content Pool

Es hört sich einfach an, aber bei der Komplexität, die die Athlet:innen heutzutage in die drei Sekunden des freien Falls packen, ist es schon erstaunlich, wie sie ihren Körper in den letzten Millisekunden aufrichten, um einen perfekten senkrechten Einstieg zu schaffen.
Und in den meisten Fällen wäre das nicht möglich ohne eine kleine Geheimwaffe, die sie in der Tasche haben - den Barani-Flip.
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Den Barani beherrschen

Oleksiy Prygorov entdeckt das Wasser und geht in die Barani-Position.

Oleksiy Prygorov sieht das Wasser und geht in die Barani-Position.

© Dean Treml/Red Bull Content Pool

Für Cliff Diver ist das Barani-Manöver zweifellos der wichtigste Teil des Tauchgangs neben dem Absprung. Er besteht im Wesentlichen aus einem Vorwärtssalto mit einer halben Drehung und wird beim Klippenspringen eingesetzt, im Gegensatz zum normalen 10-Meter-Tauchen, bei dem die Athlet:innen mit dem Kopf voran ins Wasser tauchen.
Diese Bewegung gibt es auch beim Turnen, Trampolinspringen, Snowboarden und anderen Sportarten, bei denen die Athlet:innen nach einem rapiden Manöver mit den Füßen voran landen müssen.
Catalin Preda aus Rumänien springt von der 28-Meter-Plattform während des zweiten Wettkampftages der siebten Station der Red Bull Cliff Diving World Series in Polignano a Mare, 2022.

Catalin Predas epischer Sprung... aber mit Rip-Entry?

© Dean Treml/Red Bull Content Pool

Der Barani ist ein perfekter Kontrollmechanismus, der es den Athlet:innen möglich macht, das Wasser unter ihnen zu erkennen, sich entsprechend zu positionieren und sicher mit den Füßen voran auf das Wasser aufzutreffen.
"Mit dem Barani kontrollierst du den Sprung", meint der Engländer Blake Aldridge, der nach den Olympischen Spielen 2008 von der 10-m-Plattform zum Klippenspringen wechselte.
"Von der Plattform aus leiten wir natürlich alle unsere Saltos und Drehungen ein, die man am Anfang der Sprünge sieht. Dann kommt ein Punkt, an dem du alle deine Tricks beendest und so viel Schwung hast, dass du irgendwie rauskommen und den Barani kontrollieren musst."
"Für mich war das der schwierigste Aspekt beim Umstieg vom Olympischen Diving zum Klippenspringen. In der Lage zu sein, auf den Füßen zu landen, während ich die Sprünge 25 Jahre lang immer mit dem Kopf voran abgeschlossen habe... Diese Phase ist ein wichtiger Teil des Ablaufes, und es ist die einzige Möglichkeit, die Dinge wirklich zu kontrollieren. Hier bekommst du deine Punkte. Das ist es, was bewertet wird. Und wenn du den Barani nicht kontrollieren kannst, kannst du auch den Einstieg nicht kontrollieren. Um beständig zu werden, brauchst du also einen guten Barani."
Der Absprung ist also geschafft, ein paar elegante Drehungen und Spins sind eingebaut und ein perfekter Barani sorgt für die optimalen Voraussetzungen für den Einstieg... Jetzt kommt der Moment des Aufpralls. Wie fühlt es sich an, das Wasser mit einem Rip-Entry wirklich zu "zerreißen"?
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Das Gefühl der perfekten Landung

"Meistens tut es weh, wenn es ein guter Einstieg ist", sagt Rhiannan Iffland aus Australien. "Du bist so voller Anspannung und Konzentration mitten im Geschehen, wenn du durch das Wasser trittst. Normalerweise hast du unter Wasser ein Gefühl dafür, wie die Performance gelaufen ist, aber du weißt es nicht wirklich."
"Du kannst nämlich einen perfekten Einstieg hinlegen und unter Wasser dennoch die Kontrolle verlieren -- auch den Schmerz spürst du noch. Dennoch ist es schön, all diese Gefühle zu haben, und dann wird alles still."
Rhiannan Iffland feiert nach ihrem Sprung von der 21-Meter-Plattform in Stari Most beim sechsten Stopp der Red Bull Cliff Diving World Series in Mostar, Bosnien und Herzegowina am 24. August 2019.

Das Gefühl, wenn du gerade den perfekten Einstieg gerissen hast.

© Romina Amato/Red Bull Content Pool

Es ist so ein cooles Gefühl, einen richtig guten, vertikalen Einstieg zu schaffen.
"Es ist so ein tolles Gefühl! Es ist schwierig, es mit etwas anderem zu vergleichen, besonders beim Klippenspringen, mit dem Adrenalin und den komplexen Sprüngen, die wir machen", fügt Oleksiy Prygorov hinzu. Den Einstieg zu schaffen, ist so eine Erleichterung!
"Das physische Befinden hängt ein bisschen vom Wasser und der Temperatur ab. Auch wenn der Einstieg perfekt ist, kann er ein bisschen schmerzhaft sein", erklärt er. "Aber eigentlich ist das ein Schmerz, der dir erst hinterher bewusst wird, weil du dich so sehr auf deinen Sprung und jedes Element davon konzentrierst."
Jonathan Paredes nach seiner Performance bei Red Bull Cliff Diving.

Jonathan Paredes: Wenn du weißt, dass der Sprung gut gelaufen ist...

© Predrag Vuckovic/Red Bull Content Pool

Wenn jemand weiß, wie man einen solchen in jeder Phase optimal hinlegt, dann ist es der Mexikaner Jonathan Paredes. Seine makellosen Einstiege ins Wasser haben ihm über die Jahre den Spitznamen "Ripmaster" eingebracht, und er teilt Ifflands Gedanken zu diesem Thema:
"Selbst wenn du einen guten Einstieg hast, wird es ein bisschen wehtun", sagt der 34-Jährige. "Aber das Gefühl ist ganz anders. Es ist irgendwie eine Erleichterung, wenn man erst einmal im Wasser ist. Für mich kommt das beste Gefühl direkt nach diesem Moment, wenn ich die Judges und die guten Noten sehe. Das ist das beste Gefühl."

Über den perfekten Einstieg hinaus

Die drei grundlegenden Elemente eines Klippensprungs -- Absprung, Performance in der Luft und Einstieg - haben ihre eigenen Challenges und verlangen demnach jeweils nach besonderen Fähigkeiten und Trainingsanforderungen. Angesichts der Aufprallkräfte erfordert das Training für den Einstieg viel Krafttraining außerhalb des Wassers.

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Wie man einen Cliff Dive lernt

Selbst Top-Profis üben erst einmal die Grundlagen, bevor sie sich an die Klippen wagen.

Eine ausgeprägte Körperstabilität durch Core-Training ist besonders wichtig, da sie es den Athlet:innen ermöglicht, die korrekte vertikale Ausrichtung von oben nach unten beizubehalten und den Körper für einen sicheren Einstieg in das Wasser unter der nötigen Spannung zu halten.
"Das Training für einen Rip Entry erfordert Übung, Übung, Übung", sagt Prygorov. Als einziger World Series-Diver, der eine olympische Medaille gewonnen hat, holte Prygorov 2023 in Paris seinen lang ersehnten ersten Podestplatz.
Er trainiert weiterhin jede Woche stundenlang für die perfekte Performance und optimale Ergebnisse. "Für mich persönlich spielt die körperliche Fitness eine große Rolle. Je fitter ich bin, desto leichter fällt es mir", sagt er.
Du musst selbstbewusst sein - du darfst nicht zu viel darüber nachdenken, du musst überzeugt davon sein, dass du einen Rip Entry hinbekommst, auch wenn du ein bisschen Angst hast.
Während der Trainings und der Wettbewerbe befindet sich auch immer ein Team von Sicherheitstauchern im Wasser, um das Risiko zu minimieren.
Meili Carpenter mit dem optimalen Absprung.

Meili Carpenter mit dem optimalen Absprung.

© Dean Treml/Red Bull Content Pool

"Die Sicherheitstaucher gehen mit uns unter Wasser, wenn wir landen, um sicherzustellen, dass es uns gut geht, und im Falle einer schlechten Landung helfen sie uns, uns zu retten und in Sicherheit zu bringen", erklärt die US-Athletin Meili Carpenter.
"Bei einem Rip Entry fühle ich vorab diese intensive Spannung in meinem Körper, während ich mich für den Eintritt ins Wasser bereit mache", sagt die Australierin Xantheia Pennisi. "Sobald ich eintauche, spüre ich den harten Aufprall, aber dann kann ich mich entspannen und habe so viel Freude daran, die Performance abzuschließen!"
Wie nervöse Piloten oft zugeben werden, geht nichts über das Gefühl der Freude und der Erleichterung, wenn ihr Flugzeug sicher auf der Landebahn auftrifft. Ähnliche Emotionen erleben Klippenspringer:innen, wenn sie den perfekten Einstieg hinlegen.

Teil dieser Story

Red Bull Cliff Diving World Series

Die Athlet:innen zeigen unglaubliche akrobatische Sprünge aus einer Höhe von mehr als 20 Metern und stellen dabei ihr ganzes Können unter Beweis.

30 Stopps

Rhiannan Iffland

A record nine-time champion on the Red Bull Cliff Diving World Series, Australia's Rhiannan Iffland is the best in the world at diving from a 21m platform.

AustralienAustralien

Orlando Duque

Colombian cliff diving star Orlando Duque is a champion many times over and a genuine legend of his sport.

ColombiaColombia