Klettern
Sasha DiGiulian bezwingt als erste Frau die längste Route des El Capitan
Nachdem sie Stürmen, Schneefall und aufgeweichten Felsen getrotzt hatte, kletterte Sasha DiGiulian als erste Frau die längste Route des El Capitan, die Platinum Wall, frei.
Die amerikanische Kletterin Sasha DiGiulian ist als erste Frau die längste Route des El Capitan im Yosemite frei geklettert. Die Rede ist von der sogenannten Platinum Wall. Der Climb dauerte 23 Tage. Neun Tage davon verbrachte sie auf einem Portaledge, einem hängenden Zelt, mit dem Kletter:innen an senkrechten Felswänden schlafen, während sie unerbittlichen Stürmen mit starkem Regen, Schnee und heftigen Winden ausgesetzt war, die auf die Wand einschlugen.
"Das ist der stolzeste Climb meiner Karriere. Ich kann es nicht fassen", schrieb sie vom Gipfel mit geschwollenen, verklebten Fingerspitzen. DiGiulian bestieg die 914 m hohe Wand, nachdem sie drei Saisons lang daran gearbeitet hatte, und sie ist damit die erste Frau überhaupt, die diese Route bezwang.
Die Platinum Wall mit 39 Seillängen, auch bekannt als Direct Line, wurde zwischen 2009 und 2017 von dem amerikanischen Kletterer Rob "Platinum" Miller und verschiedenen Partnern, darunter Elliot Faber und Jay "Shaggy" Selvidge, eingerichtet. Obwohl Miller die Route fertiggestellt hat, hat er nicht alle Seillängen in einem einzigen, kontinuierlichen Vorstoß erschlossen. Die erste freie Besteigung erfolgte 2017 in 14 Tagen an der Wand durch Miller und den Schweizer Kletterer Roby Rudolph, der die gesamte Route erfolgreich befreite.
"Ich habe sie immer angefeuert und wollte, dass sie Erfolg hat", meint Miller über DiGiulians Begehung. "Ich freue mich über ihren Erfolg, nicht nur für sie selbst, sondern auch, weil ich es toll finde, dass Leute eine Route klettern, die lange Zeit gebraucht hat, um vom Konzept zur Realität zu werden."
Sasha DiGiulians historischer Climb der längsten Route des El Capitan
DiGiulian bereitete sich drei Jahre lang auf diese Herausforderung vor. Sie probte die ersten zwei Drittel der Route, bis sie sie freigab und sich im oberen Drittel abseilte, um die letzten Seillängen zu klettern. Am 2. November begann sie mit dem Versuch, die ganze Route anzugehen. Sie musste wochenlang Stürme ertragen, die sie daran hinderten, nennenswerte Fortschritte zu machen, und erreichte schließlich am 26. November bei klarem Himmel und schmelzendem Schnee den Gipfel.
"Super cool, dass wir immer noch hier sind!", schrieb DiGiulian über die Nachrichten, die sie von den berühmten Bergsteigern Alex Honnold und Tommy Caldwell während der schlimmsten Phase des Sturms erhielt. Jeden Morgen, als sich das Kondenswasser in ihrem Portaledge sammelte und Wasser in ihren Kokon tropfte, während sie an Ort und Stelle zitterte, schickte sie ihre eigenen Nachrichten: "KALT und super nass hier oben... ich hoffe, wir haben das Schlimmste hinter uns." Sie fügte hinzu: "Es fühlt sich an, als würde es hier regnen, so viel Schneeschmelze gibt es." Als die Stürme endlich aufhörten, freute sie sich: "Die Sonne gibt uns Hoffnung".
Kletterpartner Elliot Faber, der die entscheidenden Seillängen nicht bewältigen konnte, gab seinen Einsatz auf und unterstützte DiGiulian, indem er in einem nahegelegenen Vorbau die Stürme abwartete, während um sie herum Sturzbäche tobten und Eisbrocken vom Gipfel auf sie fielen.
Trotz besserer Bedingungen blieben die Schlüsselstellen nass, aber sie kletterte sie trotzdem und leistete den größten Kampf ihrer Karriere.
Ein seltenes Kunststück: Erst die vierte Besteigung der Platinum Wall
Diese Besteigung ist erst das vierte Mal, dass ein Team die Route geklettert ist. Die Deutschen Tobias Wolf und Thomas Hering schafften die zweite Besteigung im Jahr 2018. Alex Honnold und Tommy Caldwell kletterten die Route schon früher in dieser Saison, kurz bevor eine Reihe schwerer Stürme über die Sierra hinwegfegte.
Diese Stürme erreichten schnell DiGiulian und Faber, die sich etwa 240 m unterhalb des Gipfels befanden. Während atmosphärische Flüsse und heftige Winde auf ihr Lager einschlugen, kamen die beiden in fast zwei Wochen nur 60 Meter voran. Selbst nachdem sich die Stürme gelegt hatten und die Sonne zurückkehrte, floss weiterhin Wasser vom Gipfel herab und machte die Schlüsselstellen nass.
Eine einzigartige Challenge: Die Besonderheiten der Platinum Wall und der finale Tribut
Trotz dieser Bedingungen hielt DiGiulian durch. Insgesamt führte sie 27 der 40 Seillängen der Route an, einschließlich aller Schlüsselstellen. Dazu gehören der Steilwand-Pitch 5.13c White Wizard, 5.13c Dog's Head, der 5.13a Platinum ("super durchnässt", schrieb sie), eine unbenannte Stemmecke 5.13d, die am Ende einen weiten Sprung erfordert, und das saisonal nasse Teahupo'o, 5.13a.
Die Route hat 23 Pitches in 5.12 und sechs in 5.13. Obwohl das Topo 39 Seillängen angibt, hat DiGiulian einen direkten Einstieg über die Pine Line hinzugefügt und damit die Gesamtzahl auf 40 erhöht. Aufgrund der kombinierten Schwierigkeiten, der kraftvollen Traversen unter einem riesigen Dach, der langen Abseilstrecken und der komplexen, umständlichen Natur "ist die Route anders als alles, was ich je im Valley geklettert bin", sagte Miller, der Kletterer, der die Line eingerichtet hat. Während andere freie Routen am El Cap vor allem Risssystemen folgen, verläuft die Platinum Wall größtenteils durch scheinbar leere Wandabschnitte, die von den meisten Bohrhaken aller Routen in der Formation geschützt werden.
Mit Blick auf das letzte Stück zum Gipfel fügte Miller hinzu: "Ich erinnere mich an jedes Mal, wenn ich El Cap geklettert bin, dass es am Gipfel steiler wird und man viel mehr geben muss - man muss El Cap viel opfern, um den letzten Tribut für den Abstieg zu zahlen."
Sasha DiGiulian: Eine bahnbrechende Karriere beim Klettern und darüber hinaus
Die dreiunddreißigjährige Sasha DiGiulian ist Weltmeisterin in der Gesamtwertung, war zehn Jahre lang bei den Panamerikanischen Meisterschaften ungeschlagen und kletterte 2011 als erste Frau 5.14d in der Red River Gorge in Kentucky. Sie ist mehr als 50 Routen der Schwierigkeitsstufe 5.14 geklettert und die 5.14 Canadian Big Wall Trilogy abgeschlossen: War Hammer am Castle Mountain, The Shining Uncut am Mount Louis und Blue Jeans Direct am Mount Yamnuska. Zudem kletterte sie den ersten weibliche Climb der 5.14b Big Wall Route Rayu in Nordspanien. Im Jahr 2017 gelang ihr die erste freie Besteigung der 15-Seillängen-Route 5.13 Misty Wall im Yosemite.
Im Jahr 2023 veröffentlichte sie ihre Memoiren Take the Lead: Hanging On, Letting Go, and Conquering Life's Hardest Climbs und 2024 trat sie in der HBO-Dokumentation Here to Climb auf, die ihre Karriere als Profikletterin, ihre Hüftoperationen und ihre größten Klettererfolge dokumentiert. Außerdem ist sie die Gründerin des Energieriegelunternehmens Send Bars in Boulder, Colorado.