Plaza Libertad: El Salvador ist ein Land der Widersprüche.
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Bitcoin

Taugt Bitcoin als Landeswährung?

Wir haben das bisher einzige Land der Welt besucht, das mit Bitcoin auf ein digitales Geldsystem setzt: El Salvador.
Autor: Friedemann Brenneis
8 min readPublished on
Die Markthalle Sagrado Corazon im Herzen San Salvadors. Die Gänge sind schmal und verwinkelt. Bunt leuchten die Farben der Röcke, Tücher und Kleider in den Auslagen der Marktstände, die sich hier drängen. Von überall dringen laute Stimmen, die reden, feilschen, rufen.
Dazu der allgegenwärtige fiepsigblecherne Sound von bunt blinkendem Plastikspielzeug. Es ist ein neonerleuchtetes Labyrinth aus Wäsche, Essen und Alltagswaren, und Melvin David Hernandez Esquivel ist ein Teil davon. Der 35-Jährige verkauft hier aus seinem schiefen Bauchladen heraus Kaugummis, Bonbons und kleine Säckchen mit Nüssen. Damit macht er am Tag vierzig Dollar Umsatz; seit er auch Bitcoin als Zahlungsmittel nimmt, ist es etwas mehr.
„Ich habe das als Chance gesehen, ein bisschen etwas zusätzlich zu verdienen“, sagt er und zeigt auf ein Schild an seinem Bauchladen. Da steht, dass er Bitcoin-Zahlungen erst ab einem Mindestumsatz von einem Dollar akzeptiert: Wenn jetzt jemand etwas mit Bitcoin bezahlt, verkauft er anstatt einer Tüte Erdnüsse also mindestens vier. Ein Viertel seines täglichen Umsatzes mache er mittlerweile mit dem digitalen Geld. Tendenz: weiter steigend.
Vorausgesetzt, sie verfügen über die notwendige technische Infrastruktur, müssen Unternehmen in El Salvador neben dem US-Dollar mittlerweile auch Bitcoin annehmen. So will es das Gesetz, seit sich der erst 40-jährige Präsident Nayib Bukele zum Ziel gesetzt hat, seine Heimat in einen Bitcoin-Staat umzubauen. Im Juni 2021 verkündete er per Video bei der Bitcoin 2021 Conference in Miami zum Entzücken der Bitcoin-Gemeinde und zum Erstaunen der internationalen Staatengemeinschaft, der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, vor allem aber der meisten seiner Landsleute, er werde Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel einführen.
Er verkauft aus seinem Bauchladen heraus Kaugummis, Bonbons und kleine Säckchen mit Nüssen. Ein Viertel seines täglichen Umsatzes macht er mittler­ weile mit dem digitalen Geld.

Erdnüsse per Bitcoin: Melvin Esquivel durchstreift jeden Tag Markthallen.

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Im September machte er Ernst und ließ das Gesetz im Parlament, in dem seine Partei die Mehrheit hält, durchwinken. Und geht es nach Bukele, war das erst der Anfang. Der Mann, der sich auf dem Nachrichtendienst Twitter als „CEO of El Salvador“ bezeichnet und sich gerne mit Basecap und Lederjacke zeigt, plant bereits weiter: Krypto-Bonds, ein riesiges Technologiezentrum und Energiegewinnung aus Vulkanen, all das soll den Wandel in ein Land bringen, das zwischenzeitlich die höchste Mordrate der Welt hatte.

Motivation

Einer der Gründe, warum Bukele auf das digitale Geld setzt: finanzielle Inklusion. Siebzig Prozent der Bevölkerung El Salvadors sind bislang unbanked, haben also kein Konto und damit kaum Zugang zum nationalen und internationalen Zahlungsverkehr. Ein weiterer Grund ist, dass fast ein Drittel der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten und Kanada lebt und arbeitet und Geld an Verwandte ohne Konto zurück in die Heimat schickt.
Dazu nutzen sie Finanzdienstleister, die sich den Service teuer bezahlen lassen. Von 100 versendeten Dollar kommen in El Salvador mitunter nur 80 an. Individuell und auf nationaler Ebene ist das ein ökonomisch signifikanter Reibungsverlust, immerhin machen Transferzahlungen aus dem Ausland fast ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts El Salvadors aus.
30 Dollar Startguthaben schenkt der Staat jedem seiner Landsleute, der sich die Chivo-App runterlädt.

Lange Schlagen vor neuen Geldautomaten nach der Bitcoin-Einführung

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Vorteile

Als Bitcoin lassen sich 100 Dollar dank des Lightning-Protokolls, einer alltagstauglichen Erweiterung des digitalen Geldes, die das sichere Bezahlen in Sekundenschnelle ermöglicht, bereits für den Bruchteil eines Cents an jeden Ort der Welt schicken – ganz ohne hohe Gebühren. Eine Kostenreduktion um über 99 Prozent. Der Umstieg auf diese effizientere Zahlungsinfrastruktur ist daher im Interesse des Staates, weil unter dem Strich mehr Geld ins Land kommt.
Vor allem profitieren dann natürlich die Menschen, denen das Geld dann zur Verfügung steht. Ein Vorteil, den viele Salvadorianer nachvollziehen können, und deshalb geben sie Bitcoin trotz seiner Fremd- und Neuartigkeit eine Chance. In den ersten Wochen nach der Einführung bildeten sich lange Schlangen vor den neuen staatlichen Geldautomaten, an denen die Menschen Bitcoin und Dollar ein- und auszahlen können.
Innerhalb von nur drei Wochen, verkündete der Präsident Ende September 2021 auf Twitter, seinem bevorzugten Sprachorgan, hätten bereits 2,1 Millionen Salvadorianer die Chivo-App, die staatliche Bitcoin-Wallet, heruntergeladen: El Salvador sei das erste Land der Welt, in dem die Menschen mehr Bitcoin-Wallets als Bankkonten nutzten.
Angst vor Kursschwankungen: Viele der ärmeren Salvadorianer protestieren.

Angst vor Kursschwankungen: Viele der ärmeren Salvadorianer protestieren.

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Überall in dem kleinen Land in Mittelamerika wurden blaue Chivo-Automaten aufgestellt, streng bewacht von Polizei oder Militär mit Sturmgewehren, wo sich die Menschen digitales Guthaben kaufen oder Bitcoin in Dollar wechseln können. An Infoständen soll die neue Währung den Interessierten besser erklärt werden, doch das kommt nicht bei jedem gut an.

Kritik & Skepsis

An einem Stand auf dem Mercado De Mejicanos im Norden San Salvadors steht Rosario, sie möchte ihren Nachnamen und ihr Alter nicht nennen. Sie verkauft Dinge des alltäglichen Lebens, Papiertüten, eingelegte Bohnen und Gewürze, und zwar vor allem an Arbeiter oder Tagelöhner. Um zu sprechen, zieht sie sich tiefer in ihren Stand zurück, wirkt unruhig, schaut sich nervös um. Von Bitcoin habe sie noch nie etwas gehört. Niemand sei vorbeigekommen und habe ihnen irgendwas erklärt. Es interessiere sie auch nicht. All ihre Waren kaufe sie mit Cash und alle, die zu ihr kämen, bezahlten ebenfalls bar. Da locken sie auch nicht die 30 Dollar Startguthaben, die der Staat jedem Salvadorianer schenkt, der sich die Chivo-App runterlädt.
Jüngeren Menschen fällt die Umstellung auf das digitale Geld leichter. Nelson Lovo hat ein Bitcoin-Konto, aber sein Vater schreibt die Rechnungen am liebsten noch mit der Hand.

Nelson Lovo führt ein Restaurant in San Salvador und vertraut auf Bitcoin.

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Der Präsident, der sich selbst gerne jugendlich gibt, bemüht sich vor allem um eine enge Bindung zur jungen Bevölkerung, bei vielen gilt er als Popstar. So nahmen jüngere Menschen das digitale Geld bisher mit mehr Begeisterung an, es sind meistens jene, die bereits mit Smartphones und Internet aufwachsen, die weniger digitale Berührungsängste haben. Nelson Eduardo Martinez Lovo etwa. Der 24-Jährige besaß, wie viele seiner Freunde, schon vor der Pandemie ein Konto bei einer Bitcoin-Börse im Netz.
„Mein Vater schreibt Rechnungen am liebsten noch mit der Hand“, sagt er und lacht. Gemeinsam führen sie das Sopón Zacamil, ein großes, helles Restaurant mit dunklen Holztischen an der Grenze zum Bandengebiet im Norden San Salvadors, in das Einheimische aus der Umgebung zum Mittagessen kommen. Der grüne Leguan, der mit verschmitztem Blick eine Limettenspalte haltend die Karte ziert, ist die Spezialität des Hauses und auch Nelsons Lieblingsessen. Eigentlich würden sie das schon längst auch für Bitcoin verkaufen, erklärt er, sie müssen jedoch noch auf das dafür notwendige Bezahlterminal warten. Das kommt aus China, die Lieferung verzögere sich immer wieder.
Solche Beispiele sind Wasser auf die Mühlen der Bitcoin-Skeptiker im Land, die eine zunehmend autokratisch agierende Staatsführung misstrauisch beobachten. Sergio Arauz ist einer von ihnen. Die Regierung mache es investigativen Journalisten zunehmend schwer, frei zu recherchieren und kritisch zu berichten. Zu offiziellen Terminen werden mitunter nur staatsnahe Medien eingeladen, Regierungserklärungen per Tweet statt über die offiziellen Webseiten verbreitet. Und der Druck wachse. „Ich hätte nie gedacht, dass der Zeitpunkt kommen würde, an dem ich ernsthaft in Erwägung ziehen muss, das Land zu verlassen, weil ich Journalist bin. Weil ich anders denke“, sagt Sergio mit ernstem Blick. Diese Gedanken über Exit-Strategien sind nun real.
Neben dem geothermischen Kraftwerk in der Nähe des Tecapa-Vulkans steht ein Container, in dem Tag und Nacht 300 Computer laufen.

El Salvador will auf erneuerbare Energien setzen, um Bitcoin zu generieren.

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Arauz sitzt im warmen Wind, der durch eine offene zweistöckige Beach-Bar weht. Hinter ihm senkt sich die Sonne über dem Pazifik, wuchtige Wellen brechen auf den feinen Sandstrand. Hier in El Zonte, wo zwei staubige Straßen das Zentrum eines Surfspots bilden, hat das salvadorianische Bitcoin-Experiment bereits 2019 seinen Anfang genommen.
Anders als bei der nationalen Umsetzung wurde am mittlerweile berühmten „Bitcoin Beach“ niemand gezwungen, Bitcoin zu akzeptieren, es war ein freiwilliges Graswurzelprojekt. Der Versuch, mithilfe des digitalen Geldes eine kleine Umlaufökonomie zu schaffen. Ein Community-Projekt von den Menschen für die Menschen, dessen Erfolg jedoch das Interesse von Entwicklern, Investoren und der Regierung auf sich zog, die es auf das ganze Land ausrollte. Ein Fehler, findet Sergio. „Ich bin nicht gegen Bitcoin an sich“, sagt er, „sondern gegen die Art, wie es den Leuten im Land aufgezwungen wurde. Überstürzt und per Gesetz.“
Nur Cash: Verkäuferin Rosario interessiert sich nicht für Bitcoin.

Nur Cash: Verkäuferin Rosario interessiert sich nicht für Bitcoin.

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70% der Bevölkerung sind bislang „unbanked“, haben also kein Bankkonto.

70% der Bevölkerung sind bislang „unbanked“, haben also kein Bankkonto.

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Wieso sich die Regierung nicht Zeit genommen habe, die Einführung ordentlich vorzubereiten, fragt er, mit umfassenden Informationskampagnen und dem Bereitstellen einer verlässlichen technischen Infrastruktur. Wo überhaupt das Geld herkomme, mit dem das Land Bitcoin kauft. „Sie sind für alle Menschen des Landes verantwortlich. Nicht nur für jene, die sich den Luxus leisten können, sich mit Bitcoin zu beschäftigen“, kritisiert er.
Ich hätte nie gedacht, dass der Zeitpunkt kommen würde, an dem ich ernsthaft in Erwägung ziehen muss, das Land zu verlassen, weil ich Journalist bin. Weil ich anders denke.
Journalist Sergio Arauz beklagt den erzwungenen Bitcoin-Wandel.
Kritiker bemängeln, dass der Präsident mit seinen Bitcoin-Investitionen Steuergelder riskieren würde, und das in einem Land, das ohnehin hoch verschuldet ist. Viele der ärmeren Salvadorianer haben außerdem Angst, ihr Geld bei starken Kursschwankungen zu verlieren. Die Armut im Land geht zwar zurück, aber noch immer muss mehr als jeder Fünfte mit weniger als fünfeinhalb Dollar am Tag auskommen. Wer nur wenig verdient, für den sind schon geringe Wertschwankungen ein Problem – und der Bitcoin-Kurs ist alles andere als stabil.
Er will im Osten des Landes jetzt „Bitcoin City“ bauen – die weltweit erste Stadt, die mit Einnahmen aus Bitcoin-Bonds finanziert wird.

Staatschef Nayib Bukele ist ein leidenschaftlicher Bitcoin-Jünger.

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Etwas, was den Präsidenten nicht irritiert – im Gegenteil. Erst im Jänner dieses Jahres, als der Bitcoin-Kurs abstürzte, verkündete Bukele auf Twitter, er habe 410 Bitcoin für 15 Millionen US-Dollar gekauft, zusätzlich zu dem bisherigen Investment von rund 70 Millionen Dollar. „Die meisten Leute steigen ein, wenn der Preis steigt, aber der sicherste und profitabelste Zeitpunkt zum Kaufen ist, wenn der Preis fällt. Das ist keine Raketenwissenschaft“, schrieb er dazu. Ob er die Bitcoin mit staatlichem Geld oder mit privatem Vermögen gekauft hat, beantwortete er nicht. Angeblich hat er sein Smartphone für den Kauf benutzt.
Auf Kritik heißt es von offizieller Seite pragmatisch, man wollte unbedingt Erster sein; Geschichtsbücher kennten keinen zweiten Platz. Das große Ziel sei es, El Salvador zum digitalen Pionier des Kontinents zu machen. Abgesehen davon sei das Interesse der Weltöffentlichkeit enorm. Ob die breite Bevölkerung davon profitieren wird, ist unklar. Erst im Jänner dieses Jahres forderte der Internationale Währungsfonds (IWF) El Salvador auf, Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel aufzugeben, zu hoch seien die Risiken für die Finanzstabilität. Bukele reagierte auf Twitter mit einem „Simpsons“-Meme.