Kunst im Kopf: Magnetresonanz macht Nervenfasern im Gehirn sichtbar.
© Brainpics GmbH
Biohacking

Wie unser Gehirn funktioniert – und wieso Liebe stärker als Kokain ist

Therapeutin Anja Hussong und Wisschenschaftler Philipp Stämpfli arbeiten beide mit dem Gehirn: Hier erklären sie, warum Laufen beim Erinnern hilft und Liebe besser wirkt als jede Droge.
Autor: Wolfgang Wieser
7 min readPublished on
Die Mission von Anja Hussong und Philipp Stämpfli ist es, „die Schönheit und Einzigartigkeit des menschlichen Gehirns in die Welt zu tragen“. Hussong ist Neurofeedback-Therapeutin, Stämpfli ist Informatikingenieur und leitet das Zentrum für Magnetresonanz-Bildgebung an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, zudem ist er Hypnosetherapeut.
Anja Hussong ist Neurofeedback-Therapeutin in eigener Praxis in Weinfelden.

Anja Hussong ist Neurofeedback-Therapeutin in eigener Praxis in Weinfelden.

© Brainpics GmbH

Dr. Philipp Stämpfli untersucht Gehirne mittels Magnetresonanz in Zürich.

Dr. Philipp Stämpfli untersucht Gehirne mittels Magnetresonanz in Zürich.

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Gemeinsam haben sie die Firma BrainPics gegründet. Das Ziel des Unternehmens ist, mit Hilfe eines komplexen Verfahrens, der sogenannten diffusionsgewichteten Bildgebung, die Schönheit der Struktur der Nervenfaserverbindungen sichtbar zu machen – gern auch vom Gehirn der Kunden. Diese Netzwerke steuern unsere Denkleistung, Konzentration und Gefühle. Was dabei so abgeht? Hier sind neun Beispiele aus der Hirnforschung.

So arbeitet unser Gehirn

01

Warum wir unter der Dusche oft die besten Ideen haben

In der Dusche schäumen wir vor guten Ideen nur so über.

In der Dusche schäumen wir vor guten Ideen nur so über.

© Jochen Schievnik

Die Erklärung: Duschen ist wie ins Kaminfeuer starren – man erreicht einen fast hypnotischen Zustand. Das Unterbewusstsein liefert Antworten, die rational (noch) nicht greifbar wären.
Im Detail: Warmes Wasser umhüllt den Körper. Die Muskeln entspannen sich. Der Duft der Seife bahnt sich durch die Nase den Weg in den Mandelkern (Amygdala) im Zentralgehirn. Er wandelt Wahrnehmungen in Gefühle um und weckt Erinnerungen. Das Gehirn produziert vermehrt beruhigende Alpha-Theta-Wellen. Schließen wir jetzt noch die Augen, aktiviert sich das „Default Mode“-Netzwerk (Ruhenetzwerk). Die Ablenkung von außen wird verringert, der Geist findet Zugang zum Unterbewusstsein – plötzlich tauchen Antworten auf Fragen oder Lösungen auf, die vorher nicht greifbar waren.
02

Wie Gehirntraining dabei hilft, vernünftig mit Geld umzugehen

... oder warum wir Lotto spielen, obwohl wir statistisch betrachtet 450.000 Jahre spielen müssten, um eine 95-prozentige Chance auf einen Jackpot zu haben.
Neurofeedback-Training kann helfen, Impulse besser zu kontrollieren.

Neurofeedback-Training kann helfen, Impulse besser zu kontrollieren.

© Jochen Schievnik

Die Erklärung: Mittels Neurofeedback lässt sich der Frontalkortex (Stirnhirnlappen) trainieren, er ist für die Impulskontrolle zuständig. Weil wir Menschen aber grundsätzlich Optimisten sind, probieren wir das Lottospielen entgegen besserem Wissen trotzdem immer wieder – die Verlockung des schnellen Gewinns ist zu groß.
Im Detail: Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass die meisten Menschen eher davon ausgehen, zu denen zu gehören, denen etwas Gutes widerfährt – etwa ein Lottogewinn. Gleichzeitig wird die Möglichkeit, dass einem etwas Schlimmes passiert, als eher unwahrscheinlich eingeschätzt. Dabei spielt der Frontalkortex eine große Rolle. Er ist sozusagen die letzte Instanz in der Netzwerkreihe des Gehirns und entscheidet, ob eine Handlung ausgeführt wird oder nicht. Eine Unteraktivierung des Frontalkortex kann dazu führen, dass jemand spielt, obwohl es kein logisches Argument dafür gibt. Ein gezieltes Neurofeedback-Training zur verstärkten Aktivierung des Frontalkortex kann helfen, den Impuls zum Spielen zu kontrollieren. Bessere Impulskontrolle hilft übrigens bei allen Süchten. Vorteil: Der Frontalkortex ist sehr lernfreudig – weil wir dabei Lust empfinden.
03

Warum uns zu viele Drinks geschwätzig machen

Dass Alkohol die Laberlaune hebt, liegt an Botenstoffen im Hirn

Dass Alkohol die Laberlaune hebt, liegt an Botenstoffen im Hirn

© Jochen Schievnik

Die Erklärung: Alkohol bringt vor allem zwei Botenstoffe im Gehirn ins Ungleichgewicht – und das lockert unsere Zunge.
Im Detail: Alkohol aktiviert den Botenstoff GABA (Gamma-Aminobuttersäure). Wir fühlen uns entspannter. Gleichzeitig wird der Botenstoff Glutamat, der für das „schnelle Denken“ zuständig ist, blockiert. Enthemmt und denkfaul – schon ist’s passiert: Wir plaudern ein Geheimnis aus, das sonst niemals über unsere Lippen gekommen wäre.
Wir können unser Hirn mit Dauerläufen trainieren. Körper­liche Anstrengung lässt die Zellen im Hippocampus wachsen. Das steigert Kurz- und Langzeitgedächtnis.
04

Wie ein übereifriges Gehirn Ehen gefährden kann

Ist das Cingulum über- oder unteraktiviert, kann es zu Problemen kommen.

Ist das Cingulum über- oder unteraktiviert, kann es zu Problemen kommen.

© Jochen Schievink

Die Erklärung: Das zum limbischen System gehörende Cingulum (Teil des Frontalhirns) steuert das Sozialverhalten. Ist es zu aktiv, werden wir nachtragend, unkooperativ und grantig. Und das hat noch keiner Beziehung gutgetan.
Im Detail: Das Cingulum ist verantwortlich für die kognitive Flexibilität und die soziale Anpassung an den Alltag, entscheidet über die Kooperationsbereitschaft und die Fähigkeit, Chancen zu erkennen und zu ergreifen. Ist dieser Bereich über- oder unteraktiviert, kann es zu Problemen im täglichen Miteinander kommen. Diese Menschen neigen dazu, sich ständig zu sorgen, sind nachtragend, unflexibel und zwanghaft – Eigenschaften, die zu Problemen in Beziehungen führen können. Ein Ansatz zur Abhilfe kann Neurofeedback sein. Wichtige Voraussetzung: der Wille, wirklich etwas zu ändern
05

Warum Laufen Erinnerungen bewahrt

Der Begriff „Gehirnjogging" kommt nicht von ungefähr...

Der Begriff „Gehirnjogging" kommt nicht von ungefähr...

© Jochen Schievink

Die Erklärung: Eine Studie hat gezeigt, dass der Hippocampus, die zentrale Schaltstelle des limbischen Systems, mit Dauerläufen trainiert werden kann. Gut in Form, macht er höhere Denkleistungen möglich und hat ein stärkeres Erinnerungsvermögen.
Im Detail: Der Hippocampus ist das Zentrum für Erinnerungen aus dem Kurz- und Langzeitgedächtnis. In ihm wird bei Erwachsenen auch das Protein BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor) gebildet. Eine Studie zeigte, dass ein niedriger BDNF-Spiegel mit einem kleineren Hippocampus verbunden sein kann. Dies lässt den Rückschluss zu, dass ein kleinerer Hippocampus mit schlechteren Gedächtnisleistungen einhergeht. Die Bildung des BDNF wird unter anderem angeregt, wenn Muskeln sich zusammenziehen. Das heißt: Körperliche Anstrengung lässt die Gehirnzellen im Hippocampus wieder wachsen und optimiert so seine Leistung im Kurz- und im Langzeitgedächtnis.
06

Wie wir uns zum Traumjob denken

Positive Gedanken beeinflussen tatsächlich eine positive Wirklichkeit.

Positive Gedanken beeinflussen tatsächlich eine positive Wirklichkeit.

© Jochen Schievink

Die Erklärung: Glaube kann Berge versetzen – das stimmt tatsächlich. Eine präzise Vorstellung wird vom Gehirn als wahr betrachtet und führt dazu, dass zum Beispiel der Traum­job Wirklichkeit wird.
Im Detail: Jeder Gedanke, der intensiv genug ist, löst im Gehirn die Aus­schüttung von Nervenbotenstoffen (Neurotransmittern) aus. Bei negati­ven Gedanken erzeugen sie Stress, bei positiven machen sie uns zu er­folgreichen Menschen. Aus diesem Grund gilt: „Achte auf deine Ge­danken – sie erzeugen deine Welt!“ Für die Ausschüttung der Botenstoffe spielt es erstaunlicherweise keine Rolle, ob wir uns eine Situation nur vorstellen oder sie echt erleben, denn das Unterbewusstsein kann nicht zwi­schen Fiktion und Fakten, zwischen Traum und Wirklichkeit unterschei­den. Eine im Unterbewusstsein verankerte Vorstellung wird auf die Art zur „persönlichen Wahrheit“. Jeder Gedanke hinterlässt im Gehirn eine Gedächtnisspur – ein Muster, das ab­gerufen und verfestigt wird, je öfter wir diese Spur benutzen. Denken wir uns also nur oft genug in unseren Traumjob (und tun natürlich auch etwas dafür, dass wir dort gebraucht werden), steigert das die Chancen, diese Stelle tatsächlich zu bekommen. Genau so verwurzeln sich auch ande­re Glaubenssätze, positive wie – auf­gepasst! – negative: Die Sätze „Du taugst nichts“, „Das schaffst du nie“, „Du bist zu dick“ können so zur fixen Idee und in der Folge wahr werden.
07

Warum Multitasking Blödsinn ist (und trotzdem ans Ziel führen kann)

Wer alles nur so halb nebenbei erledigt, wird nichts ganz richtig machen.

Wer alles nur so halb nebenbei erledigt, wird nichts ganz richtig machen.

© Jochen Schievink

Die Erklärung: Multitasking funktio­niert nicht, sagt die Hirnforschung. Wer trotzdem alles gleichzeitig macht, wünscht sich vermutlich unbewusst eine Änderung seines Lebens.
Im Detail: Wer mehrere Dinge zur gleichen Zeit macht, schenkt keiner von ihnen die nötige Aufmerksam­keit. Das führt zu Schlampereien und Fehlern. Im Wiederholungsfall wird womöglich der Chef reagieren – et­wa mit Versetzung oder Kündigung – und so für die unbewusst herbei­gesehnte Veränderung sorgen.
Ein verliebtes Gehirn schüttet die gleichen Neurotransmitter aus wie beim Drogenkonsum. Aber ohne Risiko für die Gesundheit.
08

Warum Verliebtsein stärker (und gesünder) als jede Droge ist

Wer ein gesundes High will, muss sich nur verlieben.

Wer ein gesundes High will, muss sich nur verlieben.

© Jochen Schievink

Die Erklärung: In der Verliebtheits­phase werden vom Gehirn die gleichen Neurotransmitter ausgeschüttet wie beim Kokainkonsum. Die Folge: das gleiche Hochgefühl, aber ohne die gesundheitlichen Risiken.
Im Detail: Die ersten Auswirkungen von Sich-­Hals-­über-­Kopf­-Verlieben und dem Konsum von Kokain sind recht ähnlich. Man spürt unfassbare Euphorie, mitunter Appetitlosigkeit und überbordende Motivation – das ist bei Liebe und Droge gleich. Nervenbotenstoffe (Neurotrans­mitter) lassen sich also durch einen anderen Menschen oder mit Chemie beeinflussen. Die Liebe schädigt allerdings nachweislich weder die Herzwände noch die Organe, und irgendwann stabilisiert sich auch der Schlafrhythmus wieder.
09

Wie wir der Angst die Kraft nehmen

Auslöser für Ängste können „Fehlprogrammierungen“ im Unterbewusstsein sein.

Auslöser für Ängste können „Fehlprogrammierungen“ im Unterbewusstsein sein.

© Jochen Schievink

Die Erklärung: Angstzustände werden oft durch eine falsche „Programmierung“ im Unterbewusstsein verursacht – und sind durchaus behandelbar.
Im Detail: Das Unterbewusstsein ist leider – im Gegensatz zum Bewusstsein – nicht rational und analytisch, sondern stellt oft Verknüpfungen her, die nicht logisch sind. Solche „Fehlprogrammierungen“ können Ängste, aber auch Blockaden, Suchtverhalten, Allergien oder andere körperliche Symptome auslösen, deren Ursache analytisch nicht zu ergründen ist. Durch moderne Hypnosetherapie kann jedoch der Ursprung des Angstgefühls aufgedeckt und neutralisiert werden. Das Ergebnis der Veränderung ist messbar, indem man beispielsweise die Hirnleistung in einem bestimmten Netzwerk in gewissen Situationen vor und nach einer Therapie misst. Ein Trauma kann innerhalb weniger Millisekunden entstehen – aber mit einer Therapie auch ebenso schnell aufgelöst werden.

Gehirne abstrakt

Hier zu sehen: Die Hauptfaserverbindungen im gesamten Gehirn von vorne.

Hier zu sehen: Die Hauptfaserverbindungen im gesamten Gehirn von vorne.

© Brainpics GmbH

Ein weiteres Magnetresonanz-Kunstwerk von Hussong und Stämpfli in Rot

Ein weiteres Magnetresonanz-Kunstwerk von Hussong und Stämpfli in Rot

© Brainpics GmbH

Wer sein eigenes Gehirn als Bild an die Wand hängen will, kann hier eine Sitzung hier buchen.