Martin Grubinger, ein Mann, zwei Extreme: perfektionistisch & risikofreudig
© Julian Baumann
Music

Hör mal, wer da hämmert

Percussionist Martin Grubinger erfindet sich neu: Seine Bühnenkarriere erklärt er für beendet; stattdessen startet er mit einer App durch, die selbst absolute Anfänger zu Vollblutmusikern macht.
Autor: Nina Kaltenböck
9 min readveröffentlicht am
Der bekennende Bayern-München-Fan Martin Grubinger wäre ein verdammt guter Innenverteidiger geworden, wären ihm nicht die Drums dazwischengekommen. Sagt der beidhändig und beidfüßig trainierte Multitasker, den wir als Trommel-Berserker aus den großen Konzerthäusern kennen. Seit Grubinger drei war, gibt das Schlagwerk den Rhythmus seines Lebens vor. Im September trommelt der vierzigjährige Salzburger aber nun ein letztes Mal vor Publikum. Wie das? Sein Fokus ist jetzt auf eine App zum Spielen von Instrumenten gerichtet, die uns die Liebe zur Musik vermitteln soll, wie Martin sie als Kind so stark verspürt hat.

THE RED BULLETIN: Wenn man bei deinen Konzerten sieht, wie du deine Felle nach dem Motto „Schneller, besser, härter“ bearbeitest, merkt man, du willst die letzten Prozent aus allem rausholen.

Martin Grubinger: Mittelmaß ist keine Option. Das habe ich total verinnerlicht. Das geb ich am Mozarteum so weiter (Dort lehrt Martin als Universitätsprofessor klas­sisches Schlagwerk & Multipercussion; Anm.). Und so leb ich auch. Deswegen höre ich jetzt auch mit meinen Konzerten auf. Ich bin vierzig, das hab ich jetzt 25 Jahre lang gemacht. Ich spür es in der Muskulatur, und ich spüre einfach, dass ich eine gewisse Müdigkeit habe. Natürlich ist es nicht schön, um drei Uhr früh am Instrument zu stehen und immer noch zu proben. Aber das ist der einzige Weg, das Publikum zu überzeugen. Das ist der einzige Weg, richtig gut zu sein. Und das war der einzige Weg, ein Instrument, das ein Schattendasein führte, aufs Podium zu heben. Ans Limit zu gehen und das Maximum aus sich herauszuholen ist völlig normal. Das ist mein Grundprinzip. Ich bin einfach besessen von Qualität.

Warum gerade die Drums? Ist es das ­Unmittelbare, die Kraftübertragung, der Emotionsauf- und -abbau?

Martin Grubinger: Man spielt mit Händen und Füßen, man spürt den Rhythmus, man hat dieses Urgefühl! Das Erste, was wir hören, ist der Herzschlag der Mutter. Dieser Rhythmus ist die erste Wahrnehmung. Du spürst den Backbeat, die Aktion, tief im Magen oder wenn ein Stick nach dem Schlag auf das Instrument zurück in deine Hand kommt, dieser Flow, dieser Tunnel, in dem du drinnen bist, der ist einzigartig. Da nimmst du nichts mehr um dich herum wahr. Das Orchester nicht. Den Dirigenten nicht. Das Publikum nicht. Die Anstrengung nicht. Dann bist du nur noch eins mit der Musik. Das hab ich nur am Schlagzeug erlebt.

Apropos Euphorie: Du hast einen Fußballplatz im Garten, bist generell sehr sportlich. Passt du auf deine Hände, deine Einnahmequelle, auf?

Martin Grubinger: Gar nicht. Das Risiko ist da. Ich hab mir schon einmal beim Skifahren die Schulter gebrochen, bin beim Radlfahren vom Auto abgeschossen worden und hab mir einen Finger gebrochen. Aber auf Sport, vor allem auf Fußball, zu verzichten ist keine Option.

Leichtfüßig: Martin auf seinem eigenen Fußballplatz in Oberösterreich.

Leichtfüßig: Martin auf seinem eigenen Fußballplatz in Oberösterreich.

© Julian Baumann

Du hast übrigens einen Händedruck, dass man glaubt, es brechen einem alle Finger.

Martin Grubinger: Echt? I am so sorry! (Grinst verlegen.)

Man merkt, der hat trainiert. Fällt dir die Power selbst auf?

Martin Grubinger: Ja, schon. Das ist die Härte, die es am Schlagzeug braucht. Wir spielen ja oft drei, vier Stunden live. Beim Händedruck fehlt dann vielleicht oft die Sensibilität, dass die andere Hand, die man grad drückt, keine Schlagzeugerhand ist. (Lacht.)

MyGroove – so heißt deine App, mit der jetzt jeder Freude am Musikmachen haben kann. Wie steht es um deinen eigenen Groove?

Martin Grubinger: Mein Vater ist Schlagzeuger. Ich war als Dreijähriger dabei, wenn er Schüler unter­richtet hat. Ich hab nonstop Musik und Schlagzeug gehört. Ich hab es gelernt, den Rhythmus zu spüren, zu fühlen, zu spielen, zu erleben – wie eine Sprache. Ich bin da so richtig eingetaucht.

Rhythmus ist unsere erste Wahrnehmung – der Herzschlag der Mutter.
Martin Grubinger

Sollen die User deiner Musik-Spiel-App auch ans Limit gehen?

Martin Grubinger: Das muss man trennen. Bei MyGroove geht es darum, dass wieder mehr Musik gemacht wird. Um pure Freude – egal auf welchem Niveau. Als Kind, wenn man die erste Garagen-Band gründet, macht man Musik, weil es Spaß macht, mit anderen etwas zu teilen. Wenn es später dann darum geht, bekannt zu werden und Konzerte zu realisieren, muss man sich fragen: „Warum hat mir das als junger Bua Spaß gemacht?“ Und darum geht es bei MyGroove. Nicht, dass jetzt alle Profimusiker werden, sondern dass man mehr singt, Klavier, Gitarre oder Schlagzeug spielt, Challenges erlebt, man sich für Events qualifizieren kann – gecoacht von den Besten ihres Fachs, von Drummer Thomas Lang, von Stings Percussionist oder von Peter Maffays Band, also echten Cracks in ihren Communitys.

Hast du MyGroove vor dem Launch innerfamiliär testen lassen? Von deinem Sohn Noah, deinem Papa, deiner Frau?

Martin Grubinger: Bei allen. Meine Frau (die Pianistin Ferzan Önder; Anm.) ist das erste Mal an einem Schlagzeug gesessen und konnte sofort acht Levels spielen. Auch Menschen, die sich für komplett unmusikalisch halten, machen mit der Musik-Spiel-App enorme Fortschritte. Das ist eigentlich der Idealfall: Jemand hat einen anstrengenden Bürotag, kommt nach Hause, spielt eine halbe Stunde und sagt: „Cool, ich kann ‚Junge Römer‘ von Falco spielen. Oder ich kann mit Eko Fresh rappen. Oder ein E-Gitarren-Solo am Drumset begleiten.“

Martin bearbeitet die Felle am 25. 9. das letzte Mal öffentlich – in Graz.

Martin bearbeitet die Felle am 25. 9. das letzte Mal öffentlich – in Graz.

© Julian Baumann

Wie kommen wir dabei musikalisch in den Flow?

Martin Grubinger: Das ist in Wahrheit, wonach wir Künstler suchen. Der Moment, wo du schwebst, wo du fliegst. Das können wir in der MyGroove-App ganz schnell erzeugen, dass du das Gefühl hast: „Wow, jetzt geht alles auf, und ich bin eins mit dieser Band, die mich be­gleitet.“ Plötzlich hast du dieses Erfolgserlebnis, dass du sehr wohl beim Singen einen Ton treffen kannst, dass du ein Rhythmusgefühl hast, dass dich hier jemand dabei unterstützt, abzuheben.

Ein Gefühl von Schwerelosigkeit? Ich seh hier im Wohnzimmer das Modell einer NASA-Rakete.

Martin Grubinger: Total! Die berühmte Saturn-V-Rakete (Sie brachte 1969 Neil Armstrong und Buzz Aldrin zum Mond; Anm.) hat auch etwas mit der MyGroove zu tun. Diese App ist bei Slavik Stakhov (Grubingers Kollege bei The Percussive Planet Ensemble; Anm.) und mir schon lange im Kopf rumgeschwirrt, und wir haben dafür einen Partner gesucht, der bereit ist, den Weg mit uns zu gehen. Am 26. Dezember vor zwei Jahren sitz ich hier beim Esstisch, trink ein Stefanibock und bau die Saturn-V-Rakete zusammen, die ich geschenkt bekommen habe. Dabei denk ich: „Jetzt mach ich noch einen letzten Anlauf und schreib dem Dietrich Mateschitz eine E-Mail.“ Ich hab ihm die Idee skizziert und geschrieben, dass es mein großer Wunsch wäre, das mit Red Bull umzusetzen. Tatsächlich hat er zurückgeschrieben, und jetzt sitzen wir da, und die MyGroove ist Wirklichkeit geworden. Deswegen hab ich mir die hierherg’stellt, weil das der Ausgangspunkt war.

Der Idealfall: Jemand kommt vom Büro nach Hause, setzt sich eine halbe Stunde an die App und kann „Junge Römer" von Falco spielen.
Martin Grubinger

… und ein wirklich langer Weg?

Martin Grubinger: Ja. Bis zu dem Zeitpunkt war es wie meine Schlagzeuger-Karriere verlaufen. Es haben alle gemeint: Dafür gibt es kein Publikum, kein Repertoire, das ist ein Instrument, das im Orchester in die letzte Reihe gehört. Und trotzdem haben wir es durchgezogen und in den vergangenen zwanzig Jahren das Schlagzeug so in den Mittelpunkt schieben können, dass jetzt alle sagen, es gehört zur Musikgeschichte dazu. Bei der MyGroove war es ähnlich – bis unsere Partner bei Red Bull sagten: „Das taugt uns. Das mach ma! Wir glauben daran.“ Es war einfach schön, auf Menschen zu treffen, die diese Begeisterung, neue Wege zu beschreiten, teilen.

Alles auf Anfang also.

Martin Grubinger: Ja, ich hör das oft von Skifahrern. Die sagen, als Kind bin ich schöne Schwünge gecarvt. Dann ist es losgegangen: Kader A, Kader B, Kader C, hundertstel Sekunden, Training, Wettkampf. Jetzt zieht Marcel Hirscher wieder im Tiefschnee seine Schwünge. Das taugt mir total.

Unsere Redakteurin macht den Rhythmus-Check. Prädikat: „ausbaufähig“.

Unsere Redakteurin macht den Rhythmus-Check. Prädikat: „ausbaufähig“.

© Julian Baumann

Zurück zu dir: Es gibt noch zwei ausverkaufte Termine, wo du mit „ZiB“-Anchor Armin Wolf und Politikwissen­schaftler Peter Filzmaier unter dem Titel „Peter, Martin und der Wolf“ über Sport und Musik philosophierst. Wie habt ihr zusammengefunden?

Martin Grubinger: Armin spielt auch Tischtennis. Peter rennt gern und mag auch Fußball, obwohl er nicht weiß, was gute Clubs sind, denn er steht auf den FC Barcelona. (Lacht.) Aber ansonsten ist er ein Supertyp. Armin hat mir einmal eine E-Mail geschrieben, und dann haben wir uns getroffen. Er ist ein begeisterter Hobby-­Percussionist, er spielt den Torpedo (ein zylinderförmiges Percussion-Instrument) oder den Shaker (eine Gefäßrassel; Anm.) und mit der MyGroove-App Percussion. Ich kann mich noch erinnern, ich hab irgendwo ein Konzert gespielt, und er hat in der „ZiB“ Pamela Rendi-Wagner interviewt. Ganz Österreich hat über dieses Interview gesprochen – und um 22.25 Uhr bekomm ich eine SMS von ihm mit einem Video, in dem er Torpedo spielt und schreibt: „Martin, was mach ich hier falsch? Es funktioniert nicht!“ Das war super! Ich schau ihm wahnsinnig gerne bei seiner Arbeit zu. Er ist die Art von Journalist, die ich gut finde.

Du warst als Multi-Percussionist unter­wegs, bist jetzt ein Musikmissionar. Wirst du auch mal als Komponist tätig?

Martin Grubinger: Das wär’s! Die Frage ist, ob ich’s kann. Das ist das Königliche an der Kunst: etwas zu erschaffen. Wir Musiker transportieren ei­gentlich nur, aber ein Songwriter oder Komponist erschafft etwas mit seiner Emotion und seinem ganzen Ich. Komponieren wäre das höchste Gut.

Home Studio Recordings für 45 Missions (Songs) – hier mit Rapper Eko Fresh.

Home Studio Recordings für 45 Missions (Songs) – hier mit Rapper Eko Fresh.

© MyGroove

Ganz neue Töne: Jetzt werden wir mit Martins App zu Multiinstrumentalisten.

Ganz neue Töne: Jetzt werden wir mit Martins App zu Multiinstrumentalisten.

© Julian Baumann

Schlagzeuger geben den Takt vor und halten ihn. Analysierst du den Takt des Lebens im Detail?

Martin Grubinger: Ja. Wenn wir zwei uns unterhalten, haben wir ganz unterschiedliche Tempi. Bei dir wär’s Gustav Mahlers vierte Sinfonie, vierter Satz, getragen, cantabile. (Singt:) Badabadaaa, dadaaa, dadaaa. In meinem Fall wäre es eher die Pizzicato-Polka. (Brummt:) Tototototototo. Schlagzeuger analysieren in einem Gespräch oft den Rhythmus – oder bei Motorgeräuschen oder wenn jemand im Restaurant Besteck sortiert. Alles wird im Kopf notiert.

Armin Wolf ist ein begeisterter Percussionist – er spielt den Torpedo oder den Shaker.

Da Timing an den Drums essenziell ist, trainiert das Schlagwerk auch ein gewisses Timing bei Entscheidungen? Deinen Bühnen-Abschied, einen Projektstart?

Martin Grubinger: Ich bin schon ein eher strukturierter Typ. Es ist ein Mix aus dem, was man intuitiv spürt. Ich will jetzt nicht mehr das Leben weiterführen, bis tief in die Nacht zu proben, um ein Konzert vorzubereiten, obwohl ich heute lieber mit meiner Frau und meinem Sohn in den Attersee springen würde. Deswegen suche ich den fließenden Übergang von der Konzertkarriere in die MyGroove – das ist alles schon sehr geplant.

Offenbar spielt „No risk, no fun“ auch eine Rolle bei deinen Entscheidungen. Bist du nicht bei deiner Frau, zwei Tage nachdem du sie kennengelernt hattest, eingezogen? Was für ein Timing!

Martin Grubinger: Ja. Ich glaube, es waren sogar weniger als 48 Stunden. (Lacht.) Das war mega. Ich hab sie gesehen und wusste: Das ist sie! Ich hab gewusst, die Ferzan werde ich heiraten.

Hat sie auch mitreden dürfen?

Martin Grubinger: Ja. Sie hat die Tür geöffnet und mich nicht rausgeschmissen. Ich kann also auch spontan sein, nicht nur perfektionistisch planen. (Lacht.) Ich zaudere und zögere nicht.

Instagram: @martingrubinger
Live zu sehen am 22. September im Großen Festspielhaus in Salzburg und das alleralleraller­letzte Mal am 25. September im Congress Graz

Voller Freude

Wie uns Martin Grubingers neue App Musik näherbringt
Voice, Keys, Drums, Bass, Guitar, Percussion – Martin Grubinger und das Who’s who der Musik­branche vermitteln das Fach­wissen. Handy oder Tablet/iPad an und am ­In­strument dazuspielen!
Mission: possible – Musikstücke aus unterschiedlichen Genres können im Play-along-Modus erlernt werden.