«Wir wussten nicht, ob es überhaupt möglich ist»
Nicolas Hojac, wann wurde Ihnen klar, was Adrian Zurbrügg und Sie vom 29. bis zum 31. Juli 2024 geleistet haben?
Woher kam die Idee, diese elf Gipfel zu überqueren?
Die Idee gab es schon länger. Die Linie ist eigentlich offensichtlich – wenn man im Berner Oberland unterwegs ist, sieht man dieses Panorama und fragt sich, ob es möglich wäre, das alles in einem Push zu überschreiten. Als wir dann 2022 Eiger, Mönch und Jungfrau in einer neuen Bestzeit überschritten, wurde das Projekt realer: Wir fragten uns, ob wir auf dem Gipfel der Jungfrau nicht müder sein müssten. Wir hätten noch weitergehen können. Dort haben wir das Projekt ins Auge gefasst. Letztes Jahr mussten wir einen Versuch abbrechen, weil die Nullgradgrenze zu hoch war und der Schnee nicht gefrieren konnte über Nacht.
Was war der herausforderndste Aspekt an diesem Projekt?
Der Schlafmangel. Wir rechneten damit, dass wir rund 30 Stunden unterwegs sein würden, den grössten Teil davon in Absturzgelände. Wir wussten, dass Vorsicht geboten war. Der schwierigste Moment für mich persönlich war der Start: Wir sind mitten im Nachmittag gestartet, es war heiss, ich hatte viel gegessen und getrunken. Die ersten anderthalb Stunden fehlte mir der Elan, ich fühlte mich nicht angriffig, wir hatten beide schon Blasen an den Füssen. Mit der Zeit kam ich dann aber rein.
Gibt es Gruppendruck, wenn man zu zweit unterwegs ist?
Adi und ich reden sehr offen über solche Sachen. Da Adi vom Laufen kommt, rennt er gleich los. Ich nehme es am Anfang eher gemütlich und muss ihn dann ein wenig bremsen. Dafür ist er dann im Gelände froh, wenn ich die eine oder andere schwierige Stelle vorausgehe. Wichtig ist aber, dass man die Stimmung nicht mutwillig runterdrückt, dass man nicht jammert, sondern eher zuversichtlich ist. Deshalb habe ich die Battle am Anfang auch mit mir selber ausgefochten. Man kann auch noch in den Flow kommen, wenns am Anfang nicht so gut läuft. Das war ein wichtiges Learning für mich.
Sie waren einen Teil der Zeit in der Dunkelheit unterwegs. Wie fühlt sich das an?
Manchmal kommt man sich schon ein wenig verloren vor. Wir wussten, dass die Nacht eine Herausforderung ist, eine Art Gegner. Nach dem Mönch kommt man ins Jungfraujoch, wo eine gemütliche Sofa-Lounge steht und Verpflegung auf einen wartet. Da ist die Versuchung schon gross, eine Ausrede zu finden, dass die Bedingungen doch nicht optimal seien, sich aufs Sofa zu setzen und am nächsten Morgen mit der Bahn heimzufahren – zumal man weiss, dass danach der Jungfrau-Ostgrat kommt, eine der schwierigsten Passagen. Dort in der dunkeln Nacht einzusteigen gibt schon ein mulmiges Gefühl. Auch, weil wir wussten, dass wir uns in der Gegend nach der Jungfrau in Gebiete bewegen würden, von denen teilweise im Führer steht, dass in den letzten Jahrzehnten keine Begehungen bekannt seien. Dort fing also das Abenteuer erst richtig an.
Kann man sich auf diese mentalen Herausforderungen überhaupt vorbereiten?
Adi ist recht erprobt mit Schlafmangel – nicht nur, weil er Familienvater ist, sondern auch, weil er schon Projekte mit sehr wenig Schlaf gemacht hat. Wir hatten aber auch im Vorfeld mit einem Arzt abgeklärt, welche Menge Koffein uns helfen würden. Ausserdem muss man seinen Körper gut kennen und wissen, wie es sich anfühlt, wenn der Gleichgewichtssinn langsam nachlässt. Dann balanciert man halt vielleicht nicht mehr freihändig über einen Grat, sondern stützt sich ab.
Wie viel Energie haben Sie in diesen gut 37 Stunden verbraucht?
Wie lang hat es gedauert, bis Sie wieder einigermassen erholt waren?
Ich hatte lange Zeit Probleme mit den Zehen und Fussballen, habe mir aber sagen lassen, das sei recht normal. Bis ich wieder zu etwa 90% erholt war, hat es aber fünf Wochen gedauert. Mit aktiver Erholung habe ich natürlich schon vorher begonnen, aber ich merkte schon, dass die Energie noch nicht wieder da war. Das hat mir auch ein wenig Angst gemacht – ich hatte ja keine Erfahrung mit dermassen langer Belastung.
Was gibt Ihnen ein solches Projekt?
Das Abenteuer. Man startet, man hat keine Ahnung, ob man das Ziel erreichen wird. Man weiss nicht, ob es überhaupt möglich ist. Wenn es dann klappt, ist es natürlich sehr befriedigend. Allerdings ist es auch immer ein wenig traurig, weil das grosse Ziel, auf das man hingearbeitet hat, plötzlich wegfällt. Ein lachendes und ein weinendes Auge, sozusagen.