Wintersports
Chris Lödler steht auf den Pisten, prüft den Schnee, holt die Meinung seines Athleten Marco Odermatt ein. Das ist die eine Seite seines Jobs als Servicemann. An anderen Tagen sieht Chris kaum Tageslicht. Dann schleift er und feilt, bürstet und hobelt, zieht und bügelt. Irgendwo in einem Keller, einer Garage, immer auf der Suche nach der perfekten Abstimmung, mit der Marco die Weltspitze dominiert.
Chris ist am Arlberg aufgewachsen und seit 2016 Marcos Servicemann. Der Österreicher hat die Ski präpariert, mit denen Marco Weltmeister und Olympiasieger geworden ist, mit denen er den Gesamtweltcup und die Kugeln für Disziplinenwertungen gewonnen hat.
Einer der grössten Siege ist Marcos WM-Titel in der Abfahrt 2023. Chris nimmt diesen Sieg als Beispiel, um seinen Einfluss zu beschreiben: „Marco gewann, weil er eine perfekte Fahrt gezeigt hat, weil sein Kopf für den ganz grossen Coup bereit war. Und weil sein Material an diesem Tag gepasst hat. In dieser Reihenfolge der Bedeutung.“
Tüpflischisser. Ein kurioses Wort für uns Österreicher. Aber es trifft wohl auf mich zu.
Die Wünsche des Athleten geben die Arbeit des Servicemanns vor. „Marcos Rückmeldungen sind sehr präzise und eindeutig, das erleichtert meinen Job“, sagt Chris. Das Duo bewegt sich nahe an der Perfektion. Kein Wunder, mag Chris vor allem ein Wort in Marcos Nidwaldner Dialekt: Tüpflischisser. „Ein kurioses Wort für uns Österreicher. Aber es trifft wohl auf mich zu.“
Chris reist mit einer mobilen Ski-Werkstatt von Rennen zu Rennen: Da stehen Werktische und Skihalteböcke. Mit einem Bügeleisen wachst er die Ski, unterschiedlich hart. Er arbeitet mit Plastikabziehklingen, verschiedenen Bürsten, um die Ski auszubürsten. Zur Präparierung der Kanten verwendet er Seitenwangenhobel, Kantenwinkel, verschiedene Feilen, Schleifpapiere, Kantendiamanten oder Abnehmgummis.
Finden die Rennen in Europa statt, verfrachtet Chris das ganze Material jeweils in den Bus der Skimarke Stöckli, bei der er seit 2011 angestellt ist. Bei den Rennen in Übersee hat Chris weniger Material im Gepäck.
Bending Gates : Das Material macht den Unterschied
14 Min
Das Material macht den Unterschied
Neben der mentalen und physischen Vorbereitung sind die Skis der wichtigste Begleiter von Marco und Loïc.
Wie man aus 30 Paar Ski das Schnellste auswählt
Pro Disziplin stehen Marco rund zehn Paar Ski zur Verfügung. An der WM 2023 in Courchevel hatte Chris für die Abfahrt jedoch gleich 30 Paar dabei. Am Abend vor dem Rennen präparierte er zwei Paar davon.
Um aus 30 Paar die Schnellsten auszuwählen, ist viel Recherche nötig: Wie wird die Nacht und das Wetter am Renntag? Wie ist die Piste beschaffen? Ist der Schnee aggressiv, grobkörnig, eisig oder brüchig? Entsprechend sagt Chris: „Die Arbeit als Servicemann ist eine Mischung aus Handwerk und Wissenschaft.“
Aber was genau macht ein Servicemann mit all diesem Wissen? Chris erklärt es an einem Beispiel: „Ist der Schnee eher nass, muss die Strukturierung im Belag stärker sein, damit das Wasser weichen kann. Dieses entsteht durch die Reibung, wenn der Skibelag den Schnee in hoher Geschwindigkeit berührt. Hätte der Belag keine Strukturierung oder eine zu geringe, dann würde zwischen Ski und Schnee ein Vakuum entstehen und die Gleiteigenschaften wären nicht mehr vorhanden. Der Ski würde am Schnee haften bleiben.“
Ich möchte Marco spüren lassen, dass alles bereit ist. Meine Ruhe ist wichtig für ihn.
Chris ist weit mehr als nur Marcos „Ski-Flüsterer“, wie ihn die Skimarke Stöckli nennt. In der rennfreien Zeit gehen die beiden schon mal essen, wenn Chris auf dem Weg in die Stöckli-Manufaktur an Marcos Wohnort vorbeifährt. Dann sprechen die beiden auch über private Dinge.
So ist über all die Jahre eine Chemie entstanden, die es neben all dem technischen Ski-Wissen eben auch braucht: Chris ist der Letzte, der Marco vor dem Rennstart noch sieht. In diesen Momenten braucht es Ruhe und Konzentration. „Ein Urvertrauen, dass es gut kommt“, wie Chris sagt. „Ich möchte Marco spüren lassen, dass alles bereit ist. Meine Ruhe ist wichtig für ihn.“
Dank der Arbeit von Chris, im Keller am Ski und auf der Piste mit dem Athleten, glänzt Marco an der Weltspitze. Und Chris glänzt ein wenig mit. Denn es gilt die Faustregel: Perfekt präparierte Ski garantieren noch keinen Sieg. Aber schlecht abgestimmtes Material macht Siege praktisch unmöglich.