Die Ausscheidungsrunden des dritten Red Bull Dual Ascents am 220 Meter hohen Verzasca Staudamm hätten packender nicht sein können: Bittere Kämpfe in der berüchtigten Rissseillänge, matchentscheidende Stürze und atemberaubende Bestzeiten sorgten am einzigartigen Mehrseillängenwettkampf für Überraschungen. Doch der Reihe nach.
Die Crux mit dem Rissklettern
Das erste Duell der Qualifikation startete höchst emotional. Die Sieger des Vorjahres – die Geschwister Jernej und Julija Kruder – sowie auch die Seilschaft Katherine Choong und Nils Favre taten sich in der Rissseillänge überraschend schwer. Julija und Katherine fielen mehrmals aus den kniffligen Hand- und Fingerrissen und mussten die Seillänge in der Folge wieder von unten beginnen, wollten sie keine Strafpunkte kassieren.
Eine Strategie, die rückblickend nicht über alle Zweifel erhaben schien: «Vielleicht habe ich Julija in dieser Seillänge zu sehr gepusht», sagte Jernej Kruder. «Sie war danach komplett ausgelaugt, was ziemlich offensichtlich ist, nachdem sie diese Seillänge fünfmal geklettert ist.»
Auch die Australierin Angie Scarth-Johnson, die zusammen mit Matty Hong kletterte, tat sich in der Riss-Sequenz der enorm schwer und sammelte allein auf dieser Seillänge eine Handvoll Strafpunkte.
Rekordverdächtige Zeiten trotz komplexer Route
Wer Risskletter-Techniken zu seinem Kletterrepertoire zählen konnte, marschierte die vermeintliche Schlüssel-Seillänge der diesjährigen Red Bull Dual Ascent Route erstaunlich locker durch. So beispielsweise die beiden Rookies Darius Rapa (ROU) und Jennifer Buckley (SLO), die letztjährigen Zweitplatzierten Jenya Kazbekova (UKR) und Alberto Ginés López (ESP), oder das österreichische Dreamteam Jakob Schubert und Jessica Pilz.
Letztere machten von Anfang an klar, wo es hingehen sollte: Ganz oben aufs Podest. Mit einer Zeit von 39:20 Minuten für 4 Seillängen nahmen sie dem zweitschnellsten Team am Ende mehr als siebeneinhalb Minuten ab. Wie schnell sie unterwegs waren, zeigt folgender Vergleich: Während andere Teams auf der letzten Seillänge im roten Bereich drehten und ordentlich zu beissen hatten, schoss Jakob Schubert die 18 leicht überhängenden Meter Kletterei im Schwierigkeitsgrad 8a/b in einer Minute und 55 Sekunden hoch.
Insgesamt beendeten drei Teams (Pilz/Schubert, Kazbekova/Ginés López und Kümin/Lehmann) die 4 Seillängen der Qualifikation in unter 50 Minuten. Als letztes Team
qualifizierte sich Jennifer Buckley und Darius Rapa mit einer Zeit von 1:01:35. Damit war klar: Das Halbfinale vom Donnerstag würde schnell werden – sehr schnell.
Routiniers vs. Youngsters
Im ersten Halbfinal-Duell des Tages standen sich zwei Generationen von Kletterern gegenüber. Auf der einen Seite die beiden Olympiasieger und mehrfachen Weltmeister Jakob Schubert und Jessica Pilz, auf der anderen Seite die noch sehr jungen Talente im internationalen Wettkampfzirkus: Jennifer Buckley und Darius Rapa.
Auf den ersten beiden Seillängen lagen die Rookies noch knapp vorne, nachdem Jakob Schubert im kniffligen Quergang der zweiten Seillänge in der Hitze des Gefechts eine Exe wieder ausgehängt hatte. «Das hat mich gleich einige Meter zurückgeworfen», erzählte der Österreicher nach dem Duell. Doch der Rückstand war nicht von langer Dauer. Schubert drückte in weltmeisterlicher Manier aufs Gas und nahm Rapa bis zum Ende der dritten Seillänge gut 15 Meter ab. Nachdem er auch die vierte Seillänge in unfassbarem Tempo hochgeklettert war und Jessica Pilz ebenso flink folgte, stand fest: Jetzt konnte nur noch ein Sturz die beiden Österreicher vom Einzug ins Finale abhalten.
Dieser Fehler blieb jedoch aus und Schubert und Pilz konnten nach 46 Minuten und 46 Sekunden auf dem Staudamm abklatschen. Eine unfassbare Zeit, wenn man bedenkt, dass sie zwei Seillängen mehr kletterten als in der Qualifikation und trotzdem nur sieben Minuten länger unterwegs waren. Nur fünf Minuten später erreichten auch die beiden Youngsters das Top. «Es war der Wahnsinn», resümierte Darius Rapa. «Eine unglaubliche Anstrengung, wahnsinnig hart und wirklich ermüdend.» Mit ihrer Zeit von 51:53 zeigten sie sich sehr zufrieden. Es sei inspirierend gewesen, gegen Jakob Schubert und Jessica Pilz anzutreten. «Sie haben uns extrem gepusht», so Rapa. «Gleichzeitig wollten wir es ihnen nicht zu leicht machen und ich glaube, das ist uns gelungen.»
Entscheidende Stürze
Im zweiten Halbfinale des Tages legten Jenya Kazbekova und Alberto Ginés López mächtig los. Die beiden Schweizer vermochten zwar Schritt halten, doch als Andrea Kümin in der dritten Seillänge stürzte, schien das Duell vorzeitig entschieden zu sein. Die beiden erfahrenen Wettkampfkletterer liessen sich davon jedoch nicht verunsichern und begaben sich auf eine atemberaubende Aufholjagd. Mit einem Puls von 200 passierte Andrea Kümin den heiklen Fingerriss.
Begünstigt wurde der Effort der Schweizer von einem Fehler ihrer Halbfinalgegner. Jenya Kazbekova rutschte in der fünften Seillänge die Hand vom Griff und so fand sie sich im Seil hängend wieder. Damit kippte der knappe Vorsprung zugunsten von Kümin und Lehmann. Als die sichtlich erschöpfte Ukrainerin bei ihrer Aufholjagd erneut stürzte und sie die Penalty wählte und weiterkletterte, war klar, dass die Schweizer den Sieg ins Trockene bringen konnten. Und das taten sie auch: Sascha sowie auch Andrea schafften es sturzfrei durch die sechste Seillänge und qualifizierten sich damit fürs Finale. Dass sie für die Route länger benötigten als Jenya und Alberto, spielte aufgrund des Strafpunktes keine Rolle.
Grosser Showdown am 2. November
Somit kommt es am Samstag, 2. November im grossen Finale zu einem schweizerisch-österreichischen Duell. Sascha Lehmann und Andrea Kümin werden dabei tief in die Trickkiste greifen müssen, um den Favoriten Jakob Schubert und Jessica Pilz Paroli bieten zu können.
Im kleinen Finale wird es zum Duell zwischen den Youngsters Rapa/Buckley und Ginés López /Kazbekova kommen. Das Finale wird um 14 Uhr live auf Red Bull TV übertragen.