Urban Culture
Creator Aditotoro: Sehr ernst. Sehr Lustig.
Er begeistert mit Fussballsongs, übt Turmspringen oder geht 100 000 Schritte am Stück: Mittlerweile folgen Creator Aditotoro Millionen Menschen im Internet. Wie kriegt er das nur so unaufgeregt hin?
Der Nummer-1-Traumberuf der Generation Z, das zeigen Umfragen, ist nicht Ärztin, Feuerwehrmann oder Hollywood-Schauspielerin. Der Nummer-1-Traumberuf der unter 20-Jährigen ist Content Creator. Aber wie wird man das? Hier die Geschichte von einem, der es geschafft hat. Obwohl Content Creator gar nie sein Traumberuf war.
Er heisst Adrian Vogt, stammt aus dem Baselbiet und ist 25 Jahre alt, aber alle kennen ihn unter seinem Künstlernamen: Aditotoro. Und für sein Künstleraussehen: Pilzfrisur, Schnauz, ernstes Gesicht. Aditotoro erreicht ein Riesenpublikum, hat auf Twitch über 100 000, auf Instagram über 438 000 und auf YouTube insgesamt – er betreibt dort mehrere Kanäle – über 1,5 Millionen Follower, und dazu kommt noch die Reichweite auf TikTok. Dort folgen ihm fast zweieinhalb Millionen Menschen, seine Beiträge haben über 100 Millionen Likes. Die YouTube-Kanäle aufzuschlüsseln, würde jetzt zu weit führen, aber einen muss man erwähnen: «Aditotoro Shorts». Hier veröffentlicht er halbautomatisiert eine Art Best-of seiner Inhalte in Kurzform. Das hat ihm schon über 800 Millionen Views gebracht.
Wer ob all der Zahlen den Faden verloren hat: Aditotoro erreicht für einen Content Creator aus der Schweiz schwindelerregend viele Menschen. Dabei ist es gar nicht so leicht in Worte zu fassen, was er eigentlich macht. Was vielleicht daran liegt, dass er alles macht. Aditotoro interpretiert den Begriff des Content Creators so weit, wie es nur geht: Er kreiert Content. Er spielt Tischtennis. Übt Trampolin. Springt von Sprungtürmen. Er fährt mit dem E-Scooter von Mailand nach München. Geht 100 000 Schritte am Stück. Lebt sieben Tage lang nur von Wasser (unter Aufsicht eines Ernährungsberaters). Er singt. Reisst Witze. Hält Vorträge. Manchmal alleine. Manchmal zusammen mit Content-Creator-Kollegen. Aber immer filmt er sich dabei. Im Schnitt veröffentlicht er jeden Tag ein Video.
Zu seinen grössten Erfolgen auf YouTube zählen der Fussballsong «Füllkrug», den er mit seinem Creator-Kollegen und Freund Paulomuc aufgenommen hat, ein vierstündiges Video, in dem er die Namen aller deutschen Dörfer laut aufsagt, sein Coronavirus-Song in Anlehnung an Mani Matters «Zündhölzli». Und ein Video von 2023, in dem er und die österreichische Branchenkollegin Hannah Tulnik während sechs Minuten gut gelaunt das Ende ihrer Beziehung verkünden (ohne die Beziehung zuvor je offiziell gemacht zu haben).
Was zieht immer? «Witze über den Kantönligeist», sagt Aditotoro. «Oder, länderübergreifend: Witze über die Unterschiede zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz.» Humor von früher, also von Älteren, sei aufwendig, durchdacht, nie spontan. Online-Humor dagegen sei null aufwendig, «oft reicht ein Bild mit einem einfachen Spruch». Seine Grosseltern mögen seine Lieder. Die Witze, sagt er, checken sie meistens nicht.
Aditotoros Inhalte haben keine Botschaft, keinen tieferen Sinn. Sie sollen nur unterhalten. «Wer meine Kanäle kennt, kann sich in etwa denken, wo ich politisch stehe, aber ich mache daraus kein Thema.» Er ist ein Social-Media-Unterhalter, wie Stefan Raab ein Fernsehunterhalter ist. Einfach in kleinerem Rahmen. Und mit einem grossen Unterschied.
Beim Humor gilt ganz grundlegend: Wie und von wem etwas gesagt wird, entscheidet darüber, wie es verstanden wird. Das ist der sogenannte Erzählrahmen. Wenn Stefan Raab auf dem Bildschirm erscheint, erwarten seine Fans, dass es lustig wird. Er ist vielleicht auch lustig (oder nicht, je nach Betrachtungsweise), aber weil die Fans das schon erwarten, lachen sie schneller. Wenn wir ein Bild in einem Museum betrachten, wissen wir, dass das Kunst ist, auch wenn es bloss wie ein kindliches Strichmännchen aussieht.
Was immer zieht? Witze über den Kantönligeist. Oder, länderübergreifend: die Unterschiede zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Diese Beobachtung stammt von Erving Goffman, der diesen Interpretationsrahmen als «Frame» beschrieb. Das Problem dieses sogenannten Rahmeneffekts oder «Framing Effects»: Ohne Rahmen ist das Kunstwerk nichts. Ohne Fernsehen ist Raab nicht lustig. Ein bisschen anders verhält es sich bei einem Content Creator im Internet. Er kann sich – zumindest ein Stück weit – frei von einem Rahmen bewegen. Er macht etwas – Bier trinken, Sprüche klopfen, lustige Schweizerdeutschbegriffe rezitieren –, was er vielleicht auch im echten Leben machen würde. Weil der Rahmen fehlt oder zumindest viel weniger eng gesteckt ist als im linearen Fernsehen, ist es vielleicht nicht ganz so lustig wie eine durchgetaktete Hazel-Brugger-Show, dafür ist es echt.
Nicht falsch verstehen: Aditotoro ist ein Profi. Er ist quasi nonstop im Kreativmodus, virtuelles und echtes Leben verschwimmen, er denkt ständig schon an den nächsten Inhalt. Er hat inzwischen zwar ein Management, seine Inhalte stellt er aber alle selbst her: Er hält mit sich selbst Redaktionssitzungen ab, er filmt sich selbst, er schneidet die Videos selbst.
Aber er tut all das eben auf die leichtestmögliche Art. Wenn man ein bisschen durch seine Videos scrollt, merkt man schnell, dass er sich eigentlich nur an einem Massstab orientiert: dem eigenen. Er macht, was er selbst lustig findet – in der Annahme, dass es dann noch ein paar andere gut finden. Im Fernsehen ginge das nicht. Da stecken hinter jedem Unterhalter ein Team, eine Programmchefin, ein Konzept. Im Fernsehen hat man eine sehr genaue Vorstellung davon, wie Fernsehen zu klingen und auszusehen hat. Auf Social Media ist das anders.
Aditotoro ist nur an einem Massstab orientiert: dem eigenen. Er macht, was er selbst lustig findet – in der Annahme, dass es dann ein paar andere gut finden. Im Fernsehen ginge das nicht. Doch auf Social Media ist man selbst der Markt.
Dort ist man selbst der Markt. Wohl deshalb sind sich Aditotoro und sein Publikum so ähnlich. Zwei Drittel seiner Follower sind männlich, 16- bis 24-Jährige bilden die grösste Gruppe. Der Erfolg ist Aditotoro dennoch nicht in den Schoss gefallen, im Gegenteil, er liess sogar ziemlich lange auf sich warten, wie er an einem Abend im August bei einem Spaziergang durch Basel erzählt. Aditotoro war dreizehn, als er bei YouTube seine ersten Videos hochlud, er verdiente damit jahrelang keinen Rappen, und in den Anfängen kamen die meisten Klicks von seiner Mutter (die sich übrigens bis heute für seine Inhalte interessiert). Aditotoro machte all das nicht, weil er berühmt werden wollte. Wenn jemand aus der Generation Z ihn heute fragt, was man tun muss, um Content Creator zu werden, sagt er: «Fürs Leben gern Videos drehen.»
Während des Spaziergangs ist er sehr höflich, überlegt sich weit im Voraus, wo man sich hinsetzen könnte, um etwas zu trinken. Er spricht nicht zu viel, aber er beantwortet jede Frage ganz genau. Er drängt sich nicht auf und macht sich nicht wichtig, aber er macht bei all dem auch nicht den Eindruck, dass es ihn irgendeine Anstrengung kosten würde. Er ist, wie er ist – im wahren Leben gar nicht so anders als in den sozialen Medien.
Aditotoros Durchbruch kam nicht von heute auf morgen, bei ihm gibt es nicht dieses eine Video, das viral ging und alles veränderte. Seine Fortschritte waren klein, aber kontinuierlich, man kann sagen, das ist das Schweizerischste an ihm: dass er etwas Beständiges und Verlässliches ausstrahlt. Man weiss vielleicht nicht, was einen am nächsten Tag auf seinen Kanälen erwartet, aber man weiss, dass einen etwas erwartet. Den grössten Sprung machte er, als er in seinen Videos von Schweizerdeutsch auf Hochdeutsch wechselte. Das war im Jahr 2020. Er hatte lange überlegt, ob das klug sei. Am Ende tat er es dann einfach, ohne grossen Plan.
Traumberuf als Kind? Radiomoderator! «Mit einem alten Kassettenrekorder habe ich Songs aufgenommen, die im Radio liefen, und zwischen den Titeln dann selbst eine Moderation eingesprochen.»
Aditotoro wuchs auf einem umgebauten Bauernhof auf dem Land auf, mit Eltern, die viel zu Hause waren: Seine Mutter führt einen Blumenladen, sein Vater ein Ingenieurstudio. Sein Traumberuf als Kind war Radiomoderator. Oder SRF-Sportkommentator.
Heute sagt er: «Mit einem alten Kassettenrekorder habe ich Songs aufgenommen, die im Radio liefen, und zwischen den Titeln dann selbst eine Moderation eingesprochen. Im Fernsehen habe ich stundenlang Tennis-, Ski- und Fussballübertragungen geschaut, war ein Fan von Rainer Maria Salzgeber und Sascha Ruefer.» Er bewunderte, wie frei sie reden konnten. Und durften!
Das wollte er auch. Er machte die Sek, besuchte die Wirtschaftsmittelschule, schloss sie mit der Berufsmatura ab. Nach einem Jahr auf einer Bank bekam er eine Praktikumsstelle beim Basler Lokalradio Basilisk und dachte, dass sein Traum nun in Erfüllung gehe. Er berichtete von Medienkonferenzen, aber nicht so, wie er es gern gewollt hätte. Er durfte die Morgenshow mitproduzieren, aber ans Mikrofon liess man ihn nicht.
Er fand Radio gut, aber auch langweilig. Zu viele Regeln, zu wenig Freiraum. Vielleicht wuchs da langsam die Idee heran, die alles änderte: dass er das, was er wollte, ja einfach selbst machen konnte. Zu seinen Vorbildern damals zählten Hazel Brugger und Joko & Klaas. Die waren da natürlich längst auch in den sozialen Medien präsent, ihre Karrieren aber hatten auf Poetry-Slam- beziehungsweise TV-Bühnen begonnen.
Aditotoro ging den umgekehrten Weg. Weil er spürte, dass man im Internet nicht perfekt sein muss. Interessanterweise wurde das Fernsehen dann aber genau deswegen auf ihn aufmerksam: Schon 2021 interviewte er für ein satirisches Newsformat von SRF den damaligen Bundesrat Alain Berset. Diesen Herbst war er einer von 22 Prominenten im «TV Total Turmspringen» auf ProSieben. Wahrscheinlich hat man auch dort gemerkt, dass Authentizität manchmal wertvoller ist als Perfektion.
Fürs Schweizer Fernsehen arbeiten würde er heute eher nicht mehr. Einen Traum aber hätte er schon noch: beim «Donnschtig-Jass» mitmachen. Es ist die Sendung seiner Kindheit.