Bitcoin
Der Bitcoin-Krimi: Was lief wirklich mit Gerald Cotten und QuadrigaCX?
Die Netflix-Doku «Trust No One: The Hunt for the Crypto King» behandelt den Tod von Bitcoin-Pionier Gerald Cotten – und zeigt dabei die Risiken der digitalen Währung auf.
Not your keys - not your coins («Nicht Deine Schlüssel, nicht Deine Coins»). Die Bitcoin-Welt ist voller Memes, aber dieser Satz fasst das Drama um den Unternehmer Gerry Cotten und die Krypto-Börse QuadrigaCX leider gut zusammen. Dies ist auch die Quintessenz der Netflix-Produktion «Trust No One: The Hunt for the Crypto King».
Die 90-minütige Dokumentation erzählt die Geschichte vom Aufstieg und vor allem vom mysteriösen Tod von Gerald Cotten. Mit ins Grab nahm Cotten nämlich rund 150 Millionen Euro von Bitcoin-Anlegern, die ihm und der von ihm mitbegründeten Plattform QuadrigaCX vertraut hatten. Aber der Reihe nach:
Der Glaube an Bitcoin
Der im kanadischen Ontario aufgewachsene Cotten zieht nach Ende seines Studiums nach Vancouver und startet im November 2013 QuadrigaCX. Ein Bitcoin wird damals für rund 150 US-Dollar gehandelt. Für die allermeisten ist Bitcoin obskures Internetgeld, das man entweder zur Geldwäsche oder zum Drogenkauf im Darknet nutzt. Nur wenige erkennen damals das Potenzial von deflationärem, digital begrenztem Geld. Und dementsprechend wenig Möglichkeiten gibt es, Dollar oder Euro in Bitcoin zu tauschen. 70 Prozent des Handels laufen damals etwa über die mittlerweile insolvente Börse Mount Goxx.
Cotten hat den richtigen Riecher: Ein sympathischer, introvertierter Nerd überzeugt mit seinem Geschäftspartner Michael Patryn Anleger wie Investoren von seinem Projekt. Und die Zeit gibt ihm Recht. Ihre Börse verdient an den Transaktionsgebühren, die bei jedem Kauf und Verkauf anfallen, und die Häufigkeit der Transaktionen steigt rasant. Anfang 2017 klettert Bitcoin nachhaltig über die Marke von 1.000 US-Dollar. In den folgenden Monaten bricht ein Spekulationsfieber aus, das Bitcoin kurzzeitig auf sogar 20.000 US-Dollar steigen lässt. QuadrigaCX ist mit dabei und stellt in Kanada sogar die ersten Bitcoin-Automaten auf. Cottens Plattform verwahrt zu dieser Zeit Einlagen in Höhe von 160 Millionen US-Dollar.
Doch kurz darauf crasht der gesamte Crypto-Markt: Schon im Jahr 2018 ist Bitcoin keine 4.000 Dollar mehr wert. Wie jeder Crash löst auch dieser Panik-Reaktionen bei vielen Anlegern aus. Sie versuchen zu retten, was zu retten ist und verkaufen weiter. Viele wollen ihre Coins zurücktauschen.
Bitcoins lagern zum Teil auf Papierstücken
Erste Anleger stellen fest, dass es zu Problemen bei QuadrigaCX kommt. Verkäufe werden nicht abgewickelt, Transaktionen nicht durchgeführt. Es gäbe Probleme mit den zuständigen Banken, heisst es bei QuadrigaCX. Das ist zunächst glaubwürdig: Immer wieder verweigern einzelne Bankhäuser Transaktionen, wenn diese von Krypto-Börsen kommen, die ihnen unbekannt sind, oder ihnen suspekt vorkommen. Allerdings scheint Ende 2018 nur Quadriga derart grosse Probleme zu haben.
Cotten, damals 30 Jahre alt, führt unterdessen das Leben eines digitalen Nomaden. Mit seiner Frau Jennifer Robertson, geborene Griffith, reist er um die Welt, ist beim Wandern in Peru, mal am Strand auf den Malediven, oder in Rio de Janeiro. Die Kundengelder und Einlagen, eigentlich die gesamten Aktivitäten der Börse, leitet er von seinem Laptop. Die Bitcoins, so sagt er, lagern auf «Cold Wallets» (externe Festplatten ohne Verbindung zum Internet) oder sogar Papierstücken, in einem Safe. In gewisser Hinsicht ist dies die sicherste Form, Bitcoins aufzubewahren - Wallets ohne Internetanschluss können immerhin nicht gehackt werden. Das Problem ist nur: Sollte man den Schlüssel verlieren, sind auch die Bitcoins weg. Und Cotten ist der einzige, der die Passwörter bzw. Codes hat.
Rätsel um den Tod von Gerry Cotten
Im Dezember 2018 kommt es schliesslich zu jenem Ereignis, um das sich die Netflix-Doku «Trust No One - The Hunt for the Crypto King» dreht. Cotten, der seit seinem 24. Lebensjahr an der Darmkrankheit Morbus Chron leidet, verstirbt unerwartet im indischen Jaipur.
Mit in den Tod nimmt er die Schlüssel zu verschiedenen Krypto-Currencies: 265.000 Bitcoin, 11.000 Bitcoin Cash und Bitcoin SV, 200.000 Litecoin und 4.300.000 Ethereum – mehrere Milliarden US-Dollar zum heutigen Kurs. Nur zwölf Tage vorher hatte Cotten testamentarisch verfügt, dass Robertson die Alleinerbin seines Vermögens sein solle.
In Chatforen im Internet wird seitdem heftig spekuliert: Hat seine Witwe Jennifer Robertson die Schlüssel zu dem Krypto-Vermögen? Robertson gibt zwar zu, dass Cotten ihr die Passwörter geben wollte, beteuert aber, dass er dies nie getan hatte. Eine weitere Theorie: hat Cotten gar am Ende seinen Tod nur vorgetäuscht und sich mit dem Anlegergeld aus dem Staub gemacht? Einen Totenschein gibt es, nur der allein überzeugt nicht jene Geprellten, die in der Netflix-Doku zu Wort kommen.
Wo sind die Millionen hin?
Noch mysteriöser wird die Geschichte, wenn man einen Blick auf die Bitcoins wirft, die auf den Wallets von QuadrigaCX lagerten. Die Blockchain ist «pseudoanonym» - zwar weiss man nicht, wer hinter welchem Wallet steckt, aber alle Transaktionen sind theoretisch für jeden einsehbar. Mittlerweile gibt es Unternehmen, die mittels Heuristiken viel über die Bewegungen herausfinden können. Im Fall von QuadrigaCX war das Ergebnis erstaunlich: Einige Bitcoins wurden überhaupt nie bewegt. Die meisten Cold Wallets wiederum waren leer.
Die Vermutung: Cotten hatte mit den Coins auf anderen Börsen gehandelt und sich verzockt. Dafür hatte er diverse Pseudonyme genutzt. So war aus QuadrigaCX langsam ein sogenanntes Ponzi-Schema geworden: Die Auszahlungen, die stattfanden, wurden durch Einzahlungen von Neukunden gedeckt. Bis Januar 2019, also noch einige Wochen nach Cottens Tod, nahm die Börse Geld von Kunden an. Eine Buchhaltung, oder irgendwelche Aufzeichnungen über Fiat- und Krypto-Einlagen, hat es seit spätestens 2016 nicht gegeben. Auch Cottens Geschäftspartner Michael Patryn war nicht der, für den er sich ausgab. Hinter dem Pseudonym steckte Omar Dhanani, ein verurteilter Betrüger. Er ist abgetaucht.
Aufgeklärt werden konnte das Geheimnis von Gerald Cotten, seiner Börse QuadrigaCX und den verschollenen Bitcoins bis heute nicht. Tausende von Kunden warten noch immer auf ihr Geld. Auch die zwar manchmal arg auf Chatverläufen basierende, aber ansonsten spannend erzählte Netflix-Doku, kann das Mysterium nicht lösen. Am Ende bleibt nur die Erkenntnis: Wer Bitcoin kauft, und diese auch besitzen will, muss sich selbst um die Aufbewahrung der Schlüssel kümmern, und sie nicht einer Börse überlassen. Es gibt mittlerweile zahlreiche, einfach zu bedienende, Non-Custodial-Wallets, also Wallets, bei denen der Besitzer der Bitcoins auch die Schlüssel hält. Not Your Key, Not Your Coins eben.