Rap 💯
#Deutschrap25 erzählt die Geschichte des deutschen HipHop in 25 Songs – als Stories, Podcasts und Videos. Am 13. Dezember in Hamburg treten beim Red Bull Soundclash zwei Deutschrap-Generationen gegeneinander an. Als Countdown beleuchten wir die Evolution des Genres und erklären, was diese Generationen auszeichnet. Alle #Deutschrap25-Inhalte findest du hier.
2013 Haftbefehl “Chabos Wissen Wer Der Babo Ist”
Für Deutschrap war 2013 ein Jahr der Umbrüche. Der komplexbehaftete kleine Bruder hatte sich bis dahin fest an seinem Fixstern in den USA orientiert, es aber zugleich nie geschafft, aus dessen Schatten zu treten. Schon in den ersten Tagen des noch jungen Jahres sollte das Genre einen gewaltigen Schritt vollziehen: Mit Haftbefehls Single “Chabos wissen wer der Babo ist“ landete Deutschrap unpeinlich und flächendeckend in den Clubs.
Und auch für Haftbefehl selbst sollte das Doppelalbum “Blockplatin“ ein echter Wendepunkt werden. Denn mit “Chabos“ gelang ihm nicht nur der Charterfolg, von dem der Kritikerliebling selbst lange geträumt hatte. “Chabos” hatte auch einen popkulturellen Impact, der die Sprache der deutschen Schulhöfe nachhaltig verändern sollte.
Auch für die Karriere von Aykut gab es mit "Chabos“ kein Zurück mehr. Während zuvor noch Frankfurter Freunde und Bekannte aus verqualmten Spielotheken, Wettbüros und Hinterhofcafés heraus versuchten, das Musikbusiness mit autodidaktischen Kaufmannsskills zu stürmen, stießen diese etablierten Strukturen langsam an ihre Grenzen. Bis zu Hafts ganz großen Wurf, "Russisch Roulette“, wichen sie schließliche professionellen Major-Struktur. Die Zeit der speckigen Kunstlederjacken und Thug-Life-Deals, der parallelgesellschaftlichen Verbandelungen und wechselseitigen Schuldigkeiten war mit einem gewaltigen Schlag vorbei.
Der #Deutschrap25-Podcast: Moderatorin Visa Vie und Journalist Jan Wehn diskutieren in der zweiundzwanzigsten Folge Haftbefehls Überhit:
Comedy- und Mundart-Remixe ploppten auf YouTube auf und untermauerten umso mehr die gesamtgesellschaftliche Relevanz seines Single-Erfolgs, auf den Haft schon vorab mit einem saftigen Kobe-Rind auf seinem Albumcover angestoßen hatte. Haftbefehl war in der Mitte der Gesellschaft aufgeschlagen und deutsche Eltern kamen nicht mehr an einer Debatte der nur halb verständlichen, aber definitiv expliziten Inhalte mit ihren Sprösslingen umher. Kein Wunder, dass die CD als erstes und einziges Album des neu gekrönten "Babos" auf dem Index landen sollte: der verzweifelte Versuch höherer Instanz, noch mehr Schaden von der deutschen Jugend fern zu halten. Kurz darauf sollte der CSU-Kommunalpolitiker Fabian Giersdorf im fränkischen Roth den Songtitel auf sein Wahlplakat drucken.
Haft macht sein Ding
FRIZZO, Aufnahmen
Ein gemeinsamer Freund hat damals Haft einen meiner Beats vorgespielt. Daraus entstand dann direkt der Song "Generation Azzlack“. Der Kollege hat ihm noch ein paar Beats vorgespielt, die Haft auch haben wollte. Weil ich aber nicht einfach so Beats rausschicke, ist Haft dann zu uns ins Studio nach Düsseldorf gekommen. Er hat sich dort gleich super wohl gefühlt. Er hatte noch ein paar Jungs in der Nähe und wollte bisschen Abstand zu allem haben. Natürlich kamen wir auch alle super miteinander klar und so hatte er die Idee, das ganze Album "Blockplatin“ bei uns aufzunehmen.
CHAN, Haft-Entdecker und damaliger Manager
Haft wusste immer genau, was er wollte und wie er zu klingen hat. Außerdem war er ein sicherer Künstler im Studio, der besser gearbeitet hat, wenn er seinen Freiraum hatte. Deshalb war ich nur im Studio, wenn es erforderlich war. Bei den Aufnahmen zu "Blockplatin“ war ich überhaupt nicht dabei. Haft hatte mit dem Album einen eigenen Plan: Er wollte in die Clubs kommen. Deswegen auch die zwei Seiten. Einmal die "Block-Seite" für die Straße und die "Platin-Seite" für die Clubs. Im Nachhinein kam es aber anders, wie man gesehen hat.
FRIZZO
Haft hat viele Texte einfach aus dem Kopf gemacht. Er hat einfach ein paar Takes gemacht und gesehen: das passt, das passt nicht und hat die Textzeilen dann noch angepasst. Sobald er einen Beat gehört hat, hatte er einen Film oder eine Vision im Kopf. Ich hab ihn nicht schreiben sehen oder so, er kam auch nie zu mir und fragte, ob ein Text so passt oder so. Eigentlich kannst du es nur Freestyle nennen. Und für eine Doppelalbum haben wir die Platte echt ganz schnell runter gerockt.
Frankreich, Steaks und Streetfighter
ABDI, Wegbegleiter
Wir waren ja auch bei vielen Sessions zu "Blockplatin“ dabei. Wenn Haft dann aufnimmt, bringt er immer erst mal zwei Kilo Fleisch mit und wir machen dann Steaks und so.
FRIZZO
Was mich echt schockiert: Haft kann kochen, aber wie! Er hat uns eingeladen und für uns gekocht. Ich war geschockt, wie er das konnte. Nicht so à la "ich überlebe als Mann“ sondern so mit Gefühl und so! Das war echt der Schocker. Mein Bruder und ich sahen uns nur an: "Das kann doch nicht sein!“
FARHOT, Produzent
Ich hatte Haftbefehl von Anfang an direkt mitbekommen und gefeiert und wollte mit ihm arbeiten. Zum zweiten Album "Kanackis“ hatte es nicht geklappt. Bei “Blockplatin” weiß ich aber bis heute nicht, wie das zustande kam. Ich weiß nur, dass er meine Beats von irgendwem bekommen hat. Ich habe damals auch mehr für französische Künstler produziert. Der "Chabos“-Beat war eigentlich für Booba gedacht oder Mac Tyer. Die wollten den Beat allerdings nicht. In meinem Beatpaket waren auch anderes Beats und "Chabos“ war eher so der Beat, auf dem ich mir Haft ehrlich gesagt am schlechtesten vorstellen konnte.
CHAN
Ich weiß bis heute nicht, woher Haft Farhots Beats hatte. Ich hatte ihn damals gefragt, aber er wusste es nicht mehr. Ich musste dann erstmal nachforschen, wer Farhot ist. Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt immer mit den üblichen Verdächtigen gearbeitet wie Bazzazian, Lex Barkey, STI, M3, X-Plosive und so weiter.
CELO, Wegbegleiter
Kurz davor hatten wir unser Debütalbum "Hinterhofjargon“ veröffentlicht. Wir hatten für das Album noch einen dritten Song mit Haft geplant, nur hat er es nicht mehr geschafft, seine Strophe für den Song "Streetfighter II“ aufzunehmen, also hat er den Part einfach auf "Chabos“ gebracht. Hört euch mal "Streetfighter II“ an und überlegt, ob der Part darauf passen würde.
FRIZZO
Neben Celo und Abdi kamen auch Veysel, Capo und Farid Bang vorbei. Farid hat auch seinen Part für "Chabos" bei uns im Studio aufgenommen, hat dann aber im Nachhinein noch einen anderen durchgeschickt, den er bei sich aufgenommen hat. Es war einfach mega cool, man hat gemerkt, alle haben Bock.
Einfach rausballern
FRIZZO
Bei “Chabos” wussten wir direkt, das wird die wichtigste Single des Albums. Das wusste jeder.
CHAN
Richtig, auch weil der Song von der Energie her ein wenig wieder in Richtung “Azzlack Stereotyp” ging. Dass "Chabos“ aber die wichtigste Single werden sollte, war mir beim ersten Hören nicht klar. Wir mussten damals Haft sogar überreden, dass wir zu "Chabos" ein Video drehen. Er wollte sich vorerst auf die Platin-Seite, also auf die clubbigeren Songs konzentrieren, was die Videos anging.
FARHOT
Ich hab dann einfach einen Anruf von Chan bekommen und da hieß es so: "Ey, wir haben ein Video gedreht zu einem deiner Beats. Also viel zu spät, um da noch etwas zu ändern, sich auszutauschen oder anzupassen. Zum Glück ist das nicht passiert, sonst hätte ich sicherlich versucht, ihm irgendwas auszureden. Ich hab die Version gehört, die die meisten Leute auch kennen, mit nur einer Strophe und dem Chorus. Die habe ich halt erst überhaupt nicht geschnallt. Das hat ein bisschen gedauert. Das Video habe ich dann auch erst später gesehen. Ein Kumpel hatte mir erzählt: "Haft hat voll das krasse Ding rausgebracht!“ Dann fragte ich ihn, wie das heißt und dann meinte er "Chabos“. Und ich: "Ja, das ist mein Teil.“
Eisbrecher im Club
FARHOT
Viele Leute meinten halt: "Ah, den versteht man gar nicht.“ Dann haben mir aber auch viele DJs in Hamburg erzählt, dass der Song im Club voll abgeht. Da war ich überrascht, weil das allem widersprach, was ich bis dahin zum Thema "Club“, "Hamburg“ und "Deutschland“ erfahren durfte. Ich hatte einfach null Erwartungen an den Song, aber das Feedback hörte nicht auf. Ich hatte das Gefühl, dass der Song über zwei Jahre gewachsen ist.
ABDI
Kaum ein DJ hatte damals die Eier dazu, deutschen Rap zu spielen.
CELO
Man könnte schon sagen, dass “Chabos” der Eisbrecher war.
FRIZZO
"Blockplatin“ ist ein echtes Vorreiteralbum geworden. Ich sage das als Club-DJ. In NRW ging Deutschrap im Club gar nicht, da war das Klischee noch Rucksack und Bierflasche in der Hand. Wir wollten für Haft aber genau solche Boombap-100bpm-Beats klarmachen, die dann auch im Club funktionieren. Farhots "Chabos"-Beat war da auch ganz wichtig, denn als wir den gehört haben, wussten wir auch, in welche Richtung unsere Produktionen gehen sollten. Ein Typ hat uns auch krass supportet, DJ Passion. Er meinte zu "Generation Azzlack“: "Ferdi, was is’n das für ‘n Beat, den musst du öfters spielen!“ Ich nur so: "Yo, bleib mal ruhig, die Veranstalter wollen nicht, dass da alle die Messer rausholen.“ Aber ich hab da gemerkt, dass die Reaktionen immer krasser wurden. Das gleiche dann mit "Chabos“. Auf einmal konntest du alle Songs komplett im Club spielen. Es war wirklich ganz wichtig, dass namhafte DJs sich entschlossen haben, die Songs im Club zu pushen. Das darf man nicht unterschätzen.
CHAN
Aber er ist damit nicht nur in die Clubs gekommen, sondern auch auf die Festivals, ohne dass er dort aufgetreten ist. Ich erinnere mich noch an ein Video vom Splash, auf dem die ganze Menge den Song mit rappt, als ein DJ den gespielt hat. Und sogar bis in die Politik hat Haft es mit "Chabos“ geschafft.
Ebonics
FARHOT
Verschiedene Gruppen haben den Song gefeiert. Zum Beispiel so Gymnasiasten, die das lustig fanden, weil sie da den Kanacken bloßgestellt hörten und es dann nachlabern können. Leute von der Straße, die Rap-affin sind, haben es dann auch gefeiert, weil es wiederum nicht auf lustig gemacht ist, sondern eben ernste, harte Musik. Da sitzt jede Zeile, im Endeffekt kann man jede Zeilen cutten oder samplen. Ich denke, da haben verschiedene Gruppen, jeder für sich was abgewinnen können. Der Beat an sich alleine ist nichts weltveränderndes.
FRIZZO
Bei Haft hieß es: "Du hast kein Schulabschluss, du bist voll der Dummkopf.“ Dabei ist Hafts Ausdrucksweise etwas ganz besonderes. Haft kennt so viele Sprachen. Wenn du einfach eine ganze Zeit auf der Straße warst und mit Libanesen, Türken, Marokkanern und Kurden kommunizieren musst, ist das doch klar, dass du eine andere Sprache sprichst als jemand, der nur in einem festen Kreis verkehrt. Wenn du jetzt mit einer Person redest, die vielleicht nicht so gut deine Sprache sprichst, passt du dich ja vom Level auch an. Und genau das macht Haft mit seinen vielen Sprachen. Am Ende des Tages versteht aber auch jeder, was "Saudi Arabi Money Rich“ bedeutet.
Reeeeemixxxxx
CELO
Haft hat einfach jeden persönlich angerufen, dass er einen Remix macht. Jeder sollte nur fünf Bars rappen, ich hab aber trotzdem 16 gemacht. Das war ja eine großer Shoutout an die Frankfurter Rapper und das ging dann auch so klar. Olexesh hatte seinen ersten größeren Auftritt in dem Video und hat auf dem Remix auch richtig zersägt. In der Zeit haben wir auch an Olexeshs ersten Mixtape "Authentic Athletic“ gearbeitet, das dann zwei Wochen vor dem Video kam. Das war schon ein wichtiger Step für ihn. Und auch der Dreh war für uns ein prägender Moment.
ABDI
Der Community-Faktor war sehr hoch. Das ganze wurde in einer Karaoke-Bar aufgenommen. Das ist in der Nähe vom Frankfurter Flughafen, im Main-Taunus-Kreis, eigentlich für Japanische Geschäftsleute.
Put em in their place
FARHOT
Der Erfolg von "Chabos“ hat mich nach HipHop-Deutschland zurückgebracht, davor kannte mich eigentlich niemand in der Szene. Bis dahin hab ich manchmal deutschen HipHop produziert, wie etwa für Curse oder auch mal ‘ne Nummer mit Azad. Das war aber nur ein- oder zweimal im Jahr.
FRIZZO
Das Album hat mich persönlich sehr viel weiter gebracht. Ich hab mitbekommen, wie ein Deutschrap-Album entsteht. Leute haben mir geschrieben und mich echt gepusht und mir das Gefühl gegeben, dass ich was richtig mache. Ich war ja erst skeptisch, das Album zu machen. Ich wollte immer mehr in den Amibereich, an deutschen Rap hab ich nicht geglaubt. Aber mir hat das die Augen geöffnet, dass ich Deutschrap auch einfach ein bisschen dahin bringen kann, wo ich ihn haben will.
War noch was?
Ist “Chabos Wissen Wer Der Babo Ist” von Haftbefehl wirklich der wichtigste Song des Jahres 2013? Dr. No sieht das anders.
Megaloh – Loser
Chabos wissen, wer der Babo ist. Echte Babos wissen außerdem, dass zu jedem Turnup der Morgen danach gehört. Der Moment, in dem man aufstehen und sich unter die kalte Dusche des echten Lebens stellen muss. Megaloh hatte 2013 die Hymne für diesen Reality Check. Ein erwachsener Mann, der nicht zu stolz ist, seine Alltagswirklichkeit offen zu legen und all jenen Mut zu machen, die tatsächlich den Grind grinden, Tag für Tag. Grown Man Rap der allerbesten Sorte – und gleichzeitig der Beginn einer neuen Karriere für einen der talentiertesten MCs, den dieses Land jemals gesehen hat.