Gerhard Steinke im Saal 1 des Funkhaus Berlin
© Kasia Zacharko
Music

Eine Funkhaus-Führung mit dem ehemaligen Direktor für Audiotechnologie

Gerhard Steinke, Tontechnik- und Akustikexperte, führt uns durch seine frühere Wirkungsstätte und erzählt Geschichten aus einem halben Jahrhundert in diesem historischen Berliner Studiokomplex
Autor: Ulrich Gutmair
13 min readPublished on
Wer mit ihm durch die Flure und Tonstudios des Funkhaus Berlin spaziert, versteht recht schnell, dass Gerhard Steinke hier den größten Teil seines Arbeitslebens verbracht hat. Als Direktor für Audiotechnologie aus dem RFZ, dem Rundfunk- und Fernsehtechnischen Zentralamt der Deutschen Post, war er neben seiner Forschungstätigkeit in Adlershof auch hier tätig. Steinke ist also einer der letzten Botschafter aus einer Zeit, als das Funkhaus einer der modernsten Studiokomplexe weltweit war. Seine herzliche Zuneigung zu diesem Ort kann und will Gerhard Steinke nicht verbergen. Er ist 91 Jahre alt, aber alles andere als von gestern – er ist schlank, fit und ein wacher Gesprächspartner, der gerne lacht.
Steinke war dabei, als die neuen Studiokomplexe des Funkhauses geplant und gebaut wurden, lange bevor der Eiserne Vorhang Ost- und West-Europa teilte. Er arbeitete damals schon beim Forschungszentrum der Deutschen Post in Adlershof, und ab 1956 war er auch im Funkhaus tätig, wo er Tonmeister, Toningenieure und die Musiker selbst bei ihren Tonaufnahmen unterstützte. „Die Musiker haben mir beigebracht, wie speziell man Musik hören kann“, erinnert er sich.
Im Saal 1 des Funkhaus Berlin

Im Saal 1 des Funkhaus Berlin

© Kasia Zacharko

Ursprünglich befand sich hier, an der Nalepastraße im Ost-Berliner Bezirk Oberschöneweide, eine Furnierfabrik. Sie wurde ab 1951 zum Funkhaus umgebaut. 1956 entstand nach Plänen und unter Leitung von Architekt Franz Ehrlich der neue Block B. Er beherbergt die Aufnahmesäle, in denen heute noch aufgenommen und live gespielt wird. Viele Musiker aus dem Westen entdeckten die Qualitäten der Studios erst nach dem Fall der Mauer im Jahr 1989. So unterschiedliche Künstler wie Sting, Cecilia Bartoli, A-ha, Black Eyed Peas, Lisa Bathiasvili und Daniel Barenboim haben in den großen Sälen Aufnahmen produziert. Alle lobten sie den einzigartigen Klang in diesem Gebäude. „Viele Musiker sagen, es gibt nichts Vergleichbares auf der Welt“, erklärt Gerhard Steinke stolz.
Steinke ist Jahrgang 1927, er wurde als junger Mann zur Wehrmacht eingezogen. 1945 kam er in Wolfsburg in amerikanische Kriegsgefangenschaft und durfte für die Amerikaner Klavier spielen. Mit acht hatte er damit angefangen, und als junger Mann entwickelte er eine Liebe zum Swing, einer Musik, die unter den Nazis verboten war. Noch heute amüsiert sich Steinke über den Mangel an Swing in seiner Heimat. „In Deutschland klatschen die Leute immer auf der Eins, aber man muss auf der Zwei klatschen. Das hat Swing”, lacht er.
Noch im Jahr 1945 durfte er in seine Heimatstadt Dresden zurückkehren. Die Stadt war eine Ruinenlandschaft. Die neue sozialistische Regierung hatte beschlossen, dass erst einmal die Kinder von Arbeitern und Bauern studieren dürften. Steinkes Vater war Ingenieur. Er kam zwar aus einer Bauernfamilie, aber es half nichts. „Ich habe überall vorgesprochen, aber am Ende hat mir der sowjetische Stadtkommandant, Major Kluschnikow gesagt: ‚Sie werden jetzt noch nicht studieren können. Aber Sie sind noch so jung, Herr Steinke! Machen Sie sich keine Sorgen und rauchen Sie eine Zigarette mit mir.’ Meine Güte, sagte ich: ich rauche ja gar nicht.“
Auch an der Orgel ist Steinke noch flink

Auch an der Orgel ist Steinke noch flink

© Kasia Zacharko

Gerhard Steinke, strahlend im Funkhaus

Gerhard Steinke, strahlend im Funkhaus

© Kasia Zacharko

Weil er überlegte, entweder Nachrichten- oder Luftfahrttechnik zu studieren, besuchte Steinke den Dresdner Sender des Mitteldeutschen Rundfunks, um sich umzuschauen. „Umschauen geht nicht“, sagte man ihm. „Aber Sie können hier als Tontechniker anfangen.“ Das machte er dann auch. Den Sender verließ er selten. Wenn das Programm nachts endete, konnte er meist nicht nach Hause, weil es zu gefährlich war. Nachts machten Banden die Straßen von Dresden häufig unsicher, also schlief er im Sender auf der Couch.
Das Funkhaus sei ein einzigartiger Ort, „ein Kleinod“, das mit öffentlichen Mitteln gefördert werden müsste.
Während wir von einem Saal zum nächsten wandern, weist Steinke auf Details der Architekturen und technischen Ausstattungen der Studios hin, hin und wieder durch eine Anekdote aufgelockert. Saal 1 ist das größte und berühmteste Aufnahmestudio im Funkhaus, mit über 12.000 m³ Raumvolumen. Hier werden immer noch Musikaufnahmen gemacht, aber in letzter Zeit ist der Ort vor allem für Konzertabende mit Pop und elektronischer Musik bekannt geworden. Als wir Saal 1 betreten, probt gerade eine Band für ihren Auftritt. Um sie nicht zu stören, zeigt Steinke schweigend zur Decke. Da hängen eine rechteckige Stahlkonstruktion für die Bühnenbeleuchtung und große Lautsprecherkombinationen. Steinke zieht die Augenbrauen hoch, sein Missfallen ist unübersehbar: Jedes zusätzlich angebrachte Teil, selbst jede nicht wieder verschlossene Traversenöffnung verursache ungewollte Klangbeeinträchtigungen wie etwa Störreflexionen und mindere so die Aufnahmequalität, klagt Steinke. Selbst mit Hörgerät könne er die Störgeräusche hören. „Auch Sie können das hören. Es ist ja offenkundig.”
Uwe Fabich, der neue Eigentümer des Hauses, hat es durch seine Investitionen vor weiterem Verfall bewahrt. Gerhard Steinke ist froh darüber, weiß aber auch, dass mehr passieren müsste. Die Eigentümer sind auf die Einnahmen aus Konzerten, Festivals und anderen Großveranstaltungen angewiesen, um die hohen Fixkosten zu begleichen. Aber die hohe Saalmiete und die technischen Veränderungen, die mit der Nutzung als Konzertsaal verbunden sind, halten manchen Interessenten von Musikaufnahmen ab, befürchtet Steinke. Er habe schon von einem Toningenieur der Recording-Industrie gehört, der aus diesen Gründen nicht mehr hier produzieren will.
Funkhaus-Impressionen

Funkhaus-Impressionen

© Kasia Zacharko

Funkhaus-Impressionen und Spreeblick

Funkhaus-Impressionen und Spreeblick

© Kasia Zacharko

Aber Steinkes wahrer Zorn richtet sich gegen die deutsche Regierung. Im Jahr 2009 sollte der Bundestag über die Aufnahme des Staatsziels Kultur ins Grundgesetz abstimmen. Die Grundgesetzänderung fand aber nicht die nötige Mehrheit. Steinke beklagt diese Entscheidung im Allgemeinen, die er für falsch hält. Im Besonderen ist er der Ansicht, die Regierung sollte Geld für Kulturgüter bereitstellen, um etwa eine neue Klimaanlage im Funkhaus zu finanzieren. Deren Kosten beziffert er mit 20 bis 30 Millionen Euro. Wenn Gerhard Steinke seinen alten Arbeitsplatz besucht, hat er stets ein kleines Hygrometer in der Tasche. Die Luftfeuchtigkeit sollte bei Musikaufnahmen idealerweise über 60% betragen, aber das Gerät weist nur knapp über 40% aus. Steinke seufzt. Die Regierung müsse mehr Verantwortung für die Kultur übernehmen. Das Funkhaus sei ein einzigartiger Ort, „ein Kleinod“, das mit öffentlichen Mitteln gefördert werden müsste.
Wir ziehen weiter zu Saal 2. Steinke erklärt die unterschiedlichen Charakteristika der großen Säle. Saal 1 wurde spezifisch für Aufnahmen klassischer Musik gestaltet. Die Nachhallzeit beträgt hier über zwei Sekunden im Mittelfrequenzbereich, aber eine Absenkung bei den tiefen Frequenzen, so dass sich der Klang der Instrumente binden kann, aber eine hohe Transparenz behält. Auch im kleineren Saal 2 sollte ursprünglich klassische Musik aufgenommen werden. Doch bald wurde umgeplant, man reduzierte die Nachhallzeit auf eine Sekunde. Denn anders als gedacht, wollten die klassischen Musiker nur in Saal 1 aufnehmen. Die Pop-Produzenten, die Saal 2 bevorzugten, brauchten dagegen einen trockeneren Raumklang.
Im früheren Abhörraum in einem der kleineren Säle hat der Komponist Nils Frahm ein großes Mischpult installiert. Steinke ist froh über die Aktivitäten von Musikern wie Frahm, die das Gebäude und die Studios zu schätzen wissen.
Nachdem wir einen kurzen Blick in den Raum geworfen haben, wo gerade gearbeitet wird, sagt er: „Ich hatte viel Glück im Leben.“ Nachdem er beim Rundfunk in Dresden als Toningenieur gearbeitet hatte, durfte Steinke ab 1949 schließlich doch studieren: Elektrotechnik und Akustik. 1953 kam er in das Forschungszentrum der Deutschen Post in Berlin-Adlershof. 1956 wurde er Laborleiter. „Ich war Leiter des Studios für Probleme in akustisch-musikalischen Grenzbereichen.“ Eine solches Studio war bereits in den Anfangsjahren des Rundfunks, um 1928, gegründet worden, um die Verbindungen zwischen Kunst, Musik und Technologie zu erforschen. Wegen der zunehmenden Auseinandersetzungen des beginnenden Kalten Kriegs entschied die Regierung in Ost-Berlin bereits 1952, die alten Rundfunkstudios in der Masurenallee im Westen von Berlin zu verlassen. Dort waren bis zu dieser Zeit alle Berliner Rundfunkprogramme aufgenommen und gesendet worden.
Steinkes oberster Chef, Vizeminister Gerhard Probst, war für Post und Telekommunikation verantwortlich. Er entschied, dass die DDR ihre eigenen, modernen Rundfunkstudios bauen sollte. Sein Chef, sagt Steinke, hatte verstanden, dass sich einmaliges Fenster geöffnet hatte. Jetzt bestand die Möglichkeit, einen eigenen Studiokomplex von Grund auf und gemäß der neuesten Erkenntnisse aufbauen zu können. „Wir alle hatten unsere Erfahrungen mit schlechten Aufnahmestudios. Aber erst durch den Auszug aus der Masurenallee konnte sich der Ostdeutsche Rundfunk einen Neubau leisten.“ Probst wurde zunächst Chef-Ingenieur, Lothar Keibs war Chef-Akustiker für die akustischen Gestaltungen und Akustikerin Gisela Herzog führte selbständig alle akustischen Berechnungen und Planungen für die Aufnahmesäle durch. Franz Ehrlich wurde damit beauftragt, den Aufnahme-Komplex zu bauen, der bis heute Block B genannt wird.
Nils Frahms Studio im Funkhaus Berlin

Nils Frahms Studio im Funkhaus Berlin

© Kasia Zacharko

Nils Frahms Studio im Funkhaus Berlin

Nils Frahms Studio im Funkhaus Berlin

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„In jedem Saal gab es einen Regie- und einen Abhörraum. Das war die beste Idee, die wir hatten”, sagt Steinke. Im Abhörraum konnten die Musiker sofort ihre Aufnahmen begutachten. Wir befinden uns nun in einem der kleineren Studios, und Steinke erklärt die grundlegenden Konstruktionsprinzipien des Hauses: Die Decken sind teils schwimmend, und auch die Wände sind vom Boden und den äußeren Decken suspendiert. So ist jedes Aufnahmestudio akustisch von seiner Umgebung isoliert. „Gisela Herzog ist ein Genie“, sagt Steinke. „Ich war nur der Partner der Akustiker und des Architekten, weil ich von der Akustik kam. Ich habe unsere Bedürfnisse an das Gebäude vermittelt. Aber Gisela hatte die Ideen, wie man diese Ansprüche konstruktiv umsetzen konnte, welche Materialien und Oberflächen in den jeweiligen Studios benötigt würden. In den kleineren Studios sowie Regie- und Abhörräumen installierte sie Kassettendecken, die am besten dafür geeignet sind, Klang zu zerstreuen und ein natürliches Klangerlebnis zu erzeugen. Musiker sollen nicht in schalltoten Räumen spielen.“ Der Architekt Franz Ehrlich wandte bei Planung und Bau des Funkhauses das Prinzip der Funktionalität an. „Ehrlich fragte immer: Wofür, warum? Und er war sehr pragmatisch: Sagen Sie mir, was Sie brauchen“, erinnert sich Steinke.
Ehrlich hatte am Bauhaus in Dessau studiert und als Architekt und Grafikdesigner gearbeitet. Weil er sich als Kommunist einer Widerstandsgruppe gegen das Nazi-Regime angeschlossen hatte, wurde er verhaftet. 1937 wurde er ins Konzentrationslager Buchenwald in der Nähe von Weimar gebracht. Weil er Architekt und Formgestalter war, übertrug man ihm die Aufgabe, das zynische Motto am Eingangstor, „Jedem das Seine”, zu gestalten, das die Macht der SS demonstrieren sollte, die Insassen des Lagers jederzeit foltern oder töten zu können. Ehrlich gestaltete es im funktionalen Bauhaus-Stil, was man als subtilen Akt des Widerstands deuten kann – die Architekten des Bauhaus wurden vom Regime verfolgt, der Bauhaus-Stil galt als „undeutsch“.
Funkhaus Berlin: Block B im Sonnenuntergang

Funkhaus Berlin: Block B im Sonnenuntergang

© Kasia Zacharko

Block B wurde 1956 fertiggestellt. Das Gebäude ist funktional, es diente sichtlich aber auch den Repräsentationsbedürfnissen der DDR. Die Eingangshalle ist beeindruckend groß, der Fußboden aus rotem Marmor aus Thüringen. Ehrlich gelang es aber, der Monumentalität der Stalin-Ära einige gestalterische Witze unterzujubeln. Im Studio für Kammermusik etwa ließ er die Lilie der Bourbonen in die rautenförmige Holztäfelung einarbeiten. „Ehrlich sagte: ‚Man muss die Kunst anderer Länder zu würdigen wissen’“, lacht Steinke.
Musiker sollen nicht in schalltoten Räumen spielen.
Gerhard Steinke
„Neben den Hörspielkomplexen I und II gab es früher einen kleinen Requisitenraum”, sagt Steinke und deutet in eine Ecke. „Dort hatte Toningenieur Meinel 1996 unser Subharchord versteckt.” Das Subharchord ist eine genuin ostdeutsche Entwicklung, ein Hybrid-Synthesizer, der unter Steinkes Leitung gebaut wurde, bevor die Modularsynthesizer von Bob Moog auf den Markt kamen. In den 1950ern wurde Steinke von Gerhard Probst nach Köln und zu anderen Sendern in verschiedenen Ländern geschickt, um die damals neu entstandenen Studios für elektronische Musik zu begutachten. „Wir alle waren begeistert“, erinnert sich Steinke. „Wir mussten auch elektronische Klänge produzieren! Das brauchen die Komponisten heute! Probst wollte Komponisten die Mittel zum Erzeugen elektronischer Klänge an die Hand geben. Also entschieden wir, das Trautonium in neuer Version nachzubauen, das Friedrich Trautwein und Oskar Sala 1930 entwickelt hatten.”
Schon 1948 hatte der Dirigent Hermann Scherchen dem jungen Steinke geraten, sich mit dem Trautonium zu befassen. “Oskar Sala war ein Genie, aber ein Bastler und kein Ingenieur”, erklärt Steinke. „Daher entwickelten wir das Subharchord. Wir hatten Germaniumtransistoren, gedruckte Schaltkreise. Der Hauptentwickler des Instrumentes, Ernst Schreiber, sagte, wir müssen den Klang stabilisieren über mehrere Oktaven hinweg. Er konnte eine Note bis auf 1/29 teilen. Das war die erste besondere und patentierte Eigenschaft des Subharchords. Dann traf ich den Komponisten Josef Anton Riedl, der mich fragte, ob ich schon von den neuen MEL-Filtern im Siemens-Studio München gehört hätte. Das war die zweite Besonderheit. Die dritte bestand darin, dass ich schon früh entschieden hatte, eine Klaviatur zu verwenden. Das Trautonium basierte auf einem elektrischen Draht. Nur Violinisten würden damit spielen können, dachte ich mir. Erst vor ein paar Wochen habe ich an der Berliner Akademie der Künste den japanischen Komponisten Tomomi Adachi gehört. Er hat zwei Jahre lang mit dem Instrument gearbeitet, und jetzt spielt er es wie ein Klavier. Ich habe in den vergangenen 50 Jahren noch nie jemanden gehört, der so virtuos und perfekt mit dem Subharchord spielen kann. Das war fantastisch. Er kann es auch reparieren.“
Drei Serien-Exemplare des Subharchords gibt es noch, neben dem Prototypen in der AdK. Aber bald wird es trotz aller Kenntnisse über seine Bauweise schwer werden, sie zu reparieren, weil man die speziellen Germaniumtransitoren und die zahlreichen oxidierenden Kontakte nicht ersetzen kann. 1970 wurde die Entwicklung des Subharchords aus musikpolitischen Gründen eingestellt. Der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow hatte eine Rede gehalten, in der er die Musik der Avantgarde angriff, die er als kakophonisch bezeichnete. Komponisten und Musiker sollten lieber Volksmusik produzieren, die das Volk angeblich besser verstehe. Populisten, so scheint es, sind immer vorne dran, wenn es darum geht, „elitären Lärm“ und menschliche Neugier zu verdammen.
Gerhard Steinke

Gerhard Steinke

© Kasia Zacharko

Chruschtschows Rede wurde ins Deutsche übersetzt und im „Neuen Deutschland“, der führenden Parteizeitung der DDR, abgedruckt. Die weitere kulturpolitische Entwicklung wurde dadurch stark beeinflusst. Damals stand Steinke kurz davor, sein Musik-Experimental-Labor von Adlershof ins Funkhaus zu verlegen. Als der Umzugstag gekommen war, erklärte ihm der Vorsitzende des Rundfunks, man habe leider keinen Platz mehr für das Studio – der Raum, der Steinke für sein Labor versprochen worden war, war aus offenkundig politischen Gründen von einem Tag auf den anderen der Gewerkschaftsbibliothek zugeteilt worden. „Man entschied, die Serie von sechs Geräten noch zu Ende zu produzieren, zu verkaufen und die weitere Entwicklung einzustellen. Eines der Instrumente kam nach Dresden in das DEFA-Trickfilmstdio, drei in die CSSR, eines nach Norwegen. Ein Exemplar wurde in einem der beiden Hörspielstudios im Funkhaus eingesetzt“, sagt Steinke.
Im Jahr 1996 wurde das Funkhaus innerhalb des Öffentlichen Rundfunks von der ARD an das ZDF übergeben, und danach verlassen. Bald darauf öffneten die Eigentümer, die Fünf-Länder-Regierung der ostdeutschen Bundesländer und Berlins, das Haus. Niemand fühlte sich für das Haus verantwortlich, viele Gerätschaften aus den Studios wurden damals gestohlen. „Es war unsere eigene Dummheit, die Dummheit von Verwaltungen“, kommentiert Steinke. Aber das Funkhaus-Subharchord wurde weder entdeckt, noch beschädigt und bald darauf wieder in einem der Hörspielstudios aufgestellt. Die meisten Musiker und Toningenieure nutzten aber nur noch seine Formant- und MEL-Filter. Heute wird das Instrument im Berliner Technikmuseum ausgestellt.
Wir sind im Saal 4 angekommen, der für Aufnahmen „moderner Unterhaltungsmusik“ eingerichtet wurde, wie es damals hieß. Gisela Herzog ließ im Studio nach prinzipiellen akustischen Veränderungen einige Kabinen installieren, in denen etwa Schlagzeug und andere Solisten aufgenommen werden konnte, ohne die übrigen Instrumente zu stören.
Nebenan befinden sich zwei Studiokomplexe, die einst für Hörspielaufnahmen konzipiert wurden. Der große Hörspielsaal (935 m³) verfügt über eine Ziegelmauer als akustische Gestaltung, in seiner Mitte führt eine Hörspieltreppe nach oben. Die Idee der Hörspieltreppe entstand schon 1928. Auf ihr konnte man Schauspieler bei Hörspielaufnahmen rauf und runter gehen lassen – auf Marmor, Holz, Marmor mit Teppich und Holz mit Teppich. „Sting aber meinte, was für eine Verschwendung, das Studio nur für Hörspiele zu nutzen! Lasst uns Pop und experimentelle Musik hier aufnehmen“, erinnert sich Steinke.
In den beiden Hörspielkomplexen befinden sich Räume mit unterschiedlichen akustischen Charakteristiken: Darunter Wohnzimmer, Konferenzraum, schalltoter Raum. Gerhard Steinke erwähnt, dass er und seine Kollegen früher viel Zeit im Funkhaus verbracht haben. „Hier wurde Tag und Nacht gearbeitet. Manches Paar hat sich hier gefunden, weil die Leute nicht nach Hause gingen.“ In einem der Flure gab es eine Zeitlang eine Bar, an der Bier und Cognac serviert wurde. „Aber das hat den Produktionsprozess verlangsamt, also war bald Schluss damit.“ Steinke schmunzelt und zieht einen Knackfrosch aus der Tasche. Er demonstriert, dass der schalltote Raum in seinem derzeitigen Zustand – fehlender Teppich, das Fenster zum Regierraum nicht abgedeckt, offene Tür – nicht ganz schalltot ist. Aber bei ungefähr 0,1 Sekunden Nachhallzeit könnte man hier durchaus eine Szene auf freiem Feld simulieren, ergänzt er zufrieden.
Als wir nach unserem Rundgang das Gelände verlassen, meldet sich Gerhard Steinke am Pförtnerhäuschen ab. Er wird sicher bald wiederkommen, das Funkhaus lässt ihn nicht los. Aber jetzt muss er schnell nach Hause, Essen kochen für sich und seine Frau.