Eine Story aus: "Organics. The Lifetime Magazine"
Leon Löwentraut ist nicht schüchtern. Mit fester, lauter Stimme führt der 22-Jährige - hell-blonde Haare, schwarze Kapuzenjacke, Skinny Jeans, pastellfarbene Nike-Sneakers - durch sein Atelier. Löwentrauts lichtdurchfluteter Arbeitsraum misst 350 Quadratmeter und steht auf dem Grundstück, das er zusammen mit seinen Eltern bewohnt. Hier, in der Nähe von Düsseldorf, entstehen seine Werke - fast immer nachts, wenn er bei lauter Hip-Hop-, Klassik- oder Soulmusik bis in die frühen Morgenstunden malt.
Auf dem grauen, mit Farbspritzern gesprenkelten Teppichboden stehen zahlreiche großformatige Werke in unterschiedlichen Stadien der Vollendung. Vor kurzem hat er die Rakeltechnik für sich entdeckt, bei der die Farbe mit einem Abstreifholz in breiten Strichen auf der Leinwand aufgetragen wird. Seine Motive sind meist Masken und Gesichter, Kreise und Bögen in kräftigen, oft direkt aus der Tube aufgetragenen Acrylfarben: Grasgrün, Rot, Weiß, Pink und Gold. „Derzeit vermähle ich gerne explosive, grelle und leuchtende Farben“, sagt Löwentraut.
Mit 12 verkaufte er erste Bilder
Leon Löwentraut ist ein Phänomen: Seit er sieben Jahre alt ist, malt er. Nicht wie andere Kinder auf Papier, diese gekritzelten Werke, die die stolzen Eltern dann am heimischen Kühlschrank ausstellen. Löwentraut malt seit mittlerweile zehn Jahren auf Leinwänden. „Mit jeder Zeichnung und mit jedem Bild, das ich gemacht habe, merkte ich, dass in Kunst so viel mehr drinsteckt.“ Beim ersten verkauften Bild - genau genommen waren es sieben Bilder - war er zwölf Jahre alt, Käufer war, für 150 Euro, der Besitzer einer örtlichen Pizzeria.
Bald folgten die ersten Ausstellungen, er trat in der Fernsehshow von Stefan Raab auf ProSieben auf und malte mit dem Moderator ein Bild. Was folgte, kann man getrost als Hype bezeichnen. Immer mehr Medien berichteten über ihn, das „Wunderkind“, die Leute begannen, sich um seine Gemälde mit Titeln wie „Here I Am“ und „Welcome to Ibiza“ zu reißen. Sie erinnern oft an die Arbeiten von Jean-Michel Basquiat, den ersten afroamerikanischen Künstler, der sich in der bis dahin von Weißen dominierten Kunstwelt durchgesetzt hat und zu einem echten Star wurde. Er starb 1988, zehn Jahre bevor Leon Löwentraut geboren wurde.
Am Ende der elften Klasse verließ Löwentraut die Schule, um sich ganz auf die Malerei zu konzentrieren. Seine Eltern unterstützten ihn dabei stets, wie er versichert. Allein im Jahr 2019 fanden Ausstellungen seiner Arbeiten unter anderem im Puschkin-Museum Sankt Petersburg, in Düsseldorf, Kopenhagen und auf Ibiza statt. Außerdem präsentierte der Palazzo Medici Riccardi in Florenz seinen Gemäldezyklus „#Art4GlobalGoals“. Löwentraut, damals 21, war damit der jüngste Künstler, den der Palazzo - Baubeginn 1444 - je ausstellte, der Bilderzyklus sticht zudem aufgrund seiner politischen Aussage aus Löwentrauts Gesamtwerk hervor. Aber dazu später mehr.
Wer wissen will, wie Löwentraut lebt, kann dem Künstler jederzeit auf Instagram folgen. Sein Feed ist Ausstellungsfläche neuer Werke und erlaubt Einblicke in sein Privatleben. Neuerdings zeigt sich Löwentraut auf Instagram mit seiner Freundin. Sie ist Modejournalismus-Studentin und Model. Mehr als 67.000 Fans gefällt das.
Karriere als Charakterschule
War es anfangs vor allem Löwentrauts Alter, das Aufsehen erregte, sind es mittlerweile seine internationalen Ausstellungen, Kooperationen oder die Sammler aus aller Welt. Mitte Februar nahm Löwentraut zum dritten Mal mit einer One-Artist-Show an der Kunstmesse Art Karlsruhe teil, wo alle mitgebrachten Arbeiten bereits am Preview-Tag verkauft waren.
Löwentrauts Bilder kosten heute fünfstellige Summen, daneben gibt es immer wieder auch Editionen, also kleine gedruckte Auflagen seiner Arbeiten. Betreut wird Löwentraut in Deutschland vom Düsseldorfer Galeristen Dirk Geuer, der auch mit Künstlern wie David LaChapelle, Julian Schnabel oder Hermann Nitsch arbeitet. Aus dem einstigen Nachwuchstalent ist ein global tätiger Künstler geworden, der bei seiner Karriereplanung auf seinen engsten Freundeskreis und seine Familie vertraut, wie er im Gespräch verrät.
Das Amt des Managers hat sein Vater Jörg inne, ein Geschäftsmann. Er serviert beim Interview Kaffee und Sandwiches. Mutter Heike, ursprünglich Krankenschwester, kümmert sich um die Buchhaltung.
Aus dem Talent ist ein global tätiger Künstler geworden.
Als Leon Löwentraut vierzehn Jahre alt war, geriet die Familie in finanzielle Schwierigkeiten und verlor das Haus. Damals nahm sich Löwentraut vor, nie wieder in so eine hilflose Situation zu geraten. Von Meerbusch in Nordrhein-Westfalen, wo sie früher ein Haus bewohnten, in dessen Souterrain sich auch Leons 50-Quadratmeter-Atelier befand, sind die Löwentrauts vor gut anderthalb Jahren in das neue, größere Anwesen gezogen. Das ausgedehnte Atelier sei eine Investition in die Zukunft, sagt Leon Löwentraut.
Löwentrauts Kunst kreiert fast immer starke Emotionen. Seine Fans und Liebhaber reißen ihm jede Leinwand aus den Händen. In einem 2018 im „Spiegel“ erschienenen Porträt heißt es, die „Kunstwelt belächelt ihn, die Feuilletons ignorieren ihn weitgehend“. Die Kunstakademie Düsseldorf, an der sich Löwentraut 2015 für ein Studium bewarb, lehnte ihn ab. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen hat gerade eine Arbeit von ihm gekauft, und für neue Werke existiert eine lange Warteliste, auf der sich namhafte Sammler tummeln.
Wie geht ein junger Mensch mit solchen Reaktionen um? Was be- deuten sie für seinen Charakter und seine Karriere?
Er sei schon verletzt gewesen über die Ablehnung der Akademie, sagt Löwentraut rückblickend. Andererseits hätte er auf diesem Weg nicht die Entwicklung gemacht, die er seitdem hingelegt hat. „Meine Kunst polarisiert. Aber jeder Künstler hat polarisiert, ob es Dalí war oder Picasso.“ Stichwort Picasso. Der ist sein großes Vorbild. „Er hat so gelebt, wie er es für richtig empfunden hat, er war frei im Kopf“, sagt Löwentraut. „Das bedeutet Erfolg für mich.“
New York als großes Ziel
Der Gipfel des Erfolgs wäre es in seinen Augen, eines Tages im Museum of Modern Art in New York zu hängen. Mit dreißig will er dieses Ziel erreicht haben. Bis ins Arbeitszimmer des deutschen Wirtschaftsministers Peter Altmaier und in den nordrhein-westfälischen Landtag haben es seine Bilder schon geschafft. In der Wandelhalle des Parlamentsgebäudes hängt seit Jahresanfang ein Löwentraut zwischen Werken der Malergrößen Günther Uecker und Jörg Immendorff. „Together for the Future“ zeigt zwei Köpfe auf grün-pink-orangem Grund; es soll die Diskussionen zwischen den verschiedenen politischen Lagern symbolisieren.
„Mein Ziel ist es, viele unterschiedliche Leute miteinander in Kontakt zu bringen“, sagt Löwentraut bei unserem Besuch über seine künstlerische Mission.
Leute zusammenbringen, über eine positive Zukunft nachdenken — all diese Werte kumulierten im Oktober 2019 in besagter Ausstellung im Medici-Palast. Wo einst Kunstmäzen Lorenzo de’ Medici Michelangelo und Sandro Botticelli förderte, präsentierte Leon Löwentraut seinen „#Art4GlobalGoals“-Zyklus. Für die Kampagne „#Art4Global Goals“ malte Löwentraut mit Unterstützung der UNESCO, der YOU Stiftung und Geuer & Geuer Art insgesamt 17 Unikate. Diese Arbeiten werden bis 2030 weltweit für die Bekanntmachung und Unterstützung der nachhaltigen Entwicklungsziele eingesetzt, die die Weltgemeinschaft und die Vereinten Nationen gemeinsam verabschiedet haben. Das Ergebnis ist Kunst, die nicht nur in Museen hängt, sondern auch den Menschen im wirklichen Leben hilft. Mit dem Erlös der limitierten handübermalten Grafik-Editionen seiner Werke unterstützen Löwentraut und seine Galerie das Slumgebiet Baraka in Dakar im Senegal. Dort wurde bereits eine Schule von den Geldern gebaut; Löwentraut war bei der Einweihung vor Ort dabei.
Meine Kunst polarisiert. Aber jeder Künstler hat polarisiert, egal ob es Dalí war oder Picasso
Zurück in Deutschland, in Löwentrauts Atelier: Wie sieht der 22-Jährige seine Zukunft? In diesem Jahr finden noch eine Exposition in der Gerhardt Braun Gallery in Palma de Mallorca, eine Schau in der Kunsthalle Messmer in Riegel am Kaiserstuhl sowie ein weiteres großes Projekt statt. „Wenn das passiert, ist das fast wie das MoMA“, sagt er, und es fällt ihm sichtbar schwer, nichts zu verraten.
Man darf gespannt sein, wie weit Leon Löwentraut es noch bringt. Er ist immerhin erst 22 Jahre alt. Der Aufdruck auf dem T-Shirt, das er an diesem Tag unter seiner Kapuzenjacke trägt, wirkt dabei fast schon wie ein Lebensmotto. Darauf steht: „Live fast“.
Leons neue Werke auf Instagram: @leonloewentraut