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Music

“Weck mich auf”: Die Hymne aller wütenden Teenager

Der Klassiker von Samy Deluxe ist einer der zeitlosesten politischen Rapsongs.
Autor: Lisa Ludwig | Chefredakteurin Broadly | VICE
5 min readveröffentlicht am
#Deutschrap25 erzählt die Geschichte des deutschen HipHop in 25 Songs – als Stories, Podcasts und Videos. Am 13. Dezember in Hamburg treten beim Red Bull Soundclash zwei Deutschrap-Generationen gegeneinander an. Als Countdown beleuchten wir die Evolution des Genres und erklären, was diese Generationen auszeichnet. Alle #Deutschrap25-Inhalte findest du hier.

2001 Samy Deluxe “Weck mich auf”

Hätte man mich 2001 gefragt, ob es jemals einen besseren Rapsong geben wird als “Weck Mich Auf”, ich hätte meine Tür mit dem Eminem-Poster zugeschlagen und mich geweigert, meinen Gott Samy Deluxe auch nur im Ansatz in Frage gestellt zu wissen. Vielleicht nicht sein erfolgreichster, retrospektiv gesehen der für seine Karriere aber wichtigste Song traf bei mir einen Nerv. Ich war 12 und ein ziemlich wütender Teenager – ich wusste nur nicht so genau, worauf ich eigentlich so wütend war. Da war nur dieses vage Gefühl der Unzufriedenheit, die Gewissheit, dass es Dinge in unserer Gesellschaft gibt, die gewaltig falsch laufen, deren Umfang und Ursachen ich damals allerdings noch nicht vollends greifen konnte. “Weck Mich Auf” zielte mitten in dieses schwarze Loch der unfokussierten Gesellschaftskritik.
14 Wochen hielt sich der Track insgesamt in den Top 100 der deutschen Single-Charts. Für eine Zeit, in der Rap-Releases nicht zuverlässig auf Platz 1 charteten und sich das Feuilleton ganz selbstverständlich mit den neuesten Releases auseinandersetzte, eine beachtliche Leistung. Der Erfolg kam nicht von ungefähr.
Der #Deutschrap25-Podcast: Moderatorin Visa Vie und Journalist Jan Wehn diskutieren in der zehnten Folge den depressiven Klassiker:
“Weck Mich Auf” war der perfekte Song, um seinen Eltern zu zeigen, dass Rap auch ohne Sexismus und böse Fäkalwörter auskommt. Das Lied, das man seinen Freunden vom Gymnasium vorspielte, mit denen man sich davor höchstens auf Blumentopf einigen konnte. Samy Deluxe hat mir und vielen anderen jungen, desinteressierten, aber grundlegend doch aufnahmebereiten Teenagern den Blick dafür geöffnet, dass Rap auch eine nicht zu unterschätzende politische Komponente hat. So oberflächlich sie einem im Nachhinein auch vorkommen mag.
Nazis! Drogen, die junge Leben zerstören! Korrupte Politiker! Kinderschänder! Samy gab einem Feindbilder, die man entweder schon aktiv teilte oder auf die man sich zumindest problemlos einigen konnte. Gleichzeitig griff er einen Punkt auf, der meine Generation nach wie vor umtreibt: Zukunftsangst. Heute müssen sich die sogenannten Millennials dafür beschimpfen lassen, dass sie Avocado-Toasts statt Häuser kaufen, während sie sich durch unterbezahlte Praktika und befristete Arbeitsverträge kämpfen und ganz genau wissen, dass Rente beziehen für sie eher keine Option ist. Damals gab es zumindest schon die Ahnung, dass das mit dem Beruf, dem man sein Leben lang nachgeht, nicht ganz so einfach wird. Addiert man dazu noch die ganz alltäglichen Teenager-Ängste, sieht die Zukunft plötzlich alles andere als strahlend aus.
"Weck mich auf"

"Weck mich auf"

© YouTube-Channel Samydeluxe

Samy rappt über Jugendliche, die lieber “mit offenem Mund auf ihre PlayStations” starren, “im Exzess als Rave-Nation” feiern und “perspektivlos” in Tagträumen leben, als tatsächliche Ziele zu haben. Wenn man in diesem Land sowieso nicht mehr alt werden will, warum sich dann überhaupt noch darum scheren, ob der eigene Lebensstil einen deutlich vor Renteneintrittsalter ins Grab bringt? Das mag dramatisch und überzeichnet klingen, war in seiner Essenz aber genau das, was ich fieberhaft in mein Notizbuch gekritzelt habe, als ich in meiner pubertären Hochphase fest davon überzeugt war, unbedingt gesellschaftskritische Gedichte schreiben zu müssen.
Viel interessanter noch als seine dankbare Projektionsfläche ist an “Weck Mich Auf“, wie aktuell es noch immer ist. Das liegt natürlich daran, dass das Thema soziale Gerechtigkeit für viele Politiker immer noch vor allem ein nettes Buzzword ist, was sich im Wahlkampf gut macht und danach wieder vergessen wird. Das liegt daran, dass die nachwachsenden Generationen langsam aber sicher begriffen haben, dass die Mittelschicht wegbricht, in der viele von ihnen aufgewachsen sind. Und das liegt allem voran auch daran, dass die AfD als drittstärkste Partei in den Bundestag eingezogen ist und Deutschland somit politisch ein ganzes Stück nach Rechts rückt.
Die Hymne aller wütenden Teenager

Die Hymne aller wütenden Teenager

© YouTube-Channel Samydeluxe

Für viele dürfte der Part also aktuell wie nie sein, in dem Samy große Teile der deutschen Bevölkerung als “ein paar Millionen Arschgesichter mit 'ner Fresse voller Hämorrhoiden" bezeichnet, "die meinen, dieses Land sehr zu lieben, doch sind nicht sehr zufrieden”. Die folgerichtige Frage, so auch unverändert in künftigen Facebook-Diskussionen mit Rechtspopulisten anzuwenden: “Passt zu eurem Frust oder warum seid ihr hier geblieben?”
Ein paar Dinge haben sich in den 16 Jahren seit dem Release von “Weck Mich Auf” natürlich schon verändert. Samy Deluxe rappt nicht mehr darüber, Gerhard Schröder mal anzurufen, um mit ihm über Deutschlands Probleme zu sprechen. Diese Ehre wird seit Jahren schon Angela Merkel zuteil. Für mich und viele andere Menschen meines Alters dürfte sein erster wirklicher Hit aber nach wie vor sein wichtigster Song sein.
“Weck Mich Auf” endet mit einer Antwort auf die Frage nach dem Zustand einer Generation, die sich vor allem eins fühlt – verloren. “Für die Alten: Darum rauchen wir täglich Weed und deshalb sind ich und meine ganze Generation so depressiv.” Das stimmte 2001 und das stimmt auch heute noch.

War noch was?

Ist “Weck mich auf” von Samy Deluxe wirklich der wichtigste Song des Jahres 2001? Dr. No sieht das anders.

Blumentopf “Liebe und Hass”

Die Jungs aus dem Reihenhaus brauchten 2001 keinen Synthie-Bombast oder Polit-Pathos, um die innersten Zusammenhänge unseres Zusammenlebens bloß zu legen. Ganz bewusst schlossen sie in ihre schmunzelnde Kritik auch sich selbst ein. Schließlich hat alles immer zwei Seiten. Auch insofern ist “Liebe und Hass” der quintessentielle Blumentopf-Song. Er ist funky (s/o I.L.L. Will am Beat), witzig, leichtherzig, dabei deeper, als all die Deutschrap-Songs, die immer nur “deep” schreien. Was ich lieb: diesen Song. Was ich hass’: Leute, die dem Topf immer noch ihr Hak nicht geben wollen. <3

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