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Music

“Mein Block”: Deutschraps erster Blockbuster

Noch nie zuvor und selten danach hatte Deutschrap einen solchen Blockbuster produziert. Der Song revolutionierte Rap in mehreren Disziplinen - auch dank einiger Zufälle.
Autor: Toni Lukic
9 min readveröffentlicht am
#Deutschrap25 erzählt die Geschichte des deutschen HipHop in 25 Songs – als Stories, Podcasts und Videos. Am 13. Dezember in Hamburg treten beim Red Bull Soundclash zwei Deutschrap-Generationen gegeneinander an. Als Countdown beleuchten wir die Evolution des Genres und erklären, was diese Generationen auszeichnet. Alle #Deutschrap25-Inhalte findest du hier.

2004 Sido - Mein Block (Beathoavenz Remix)

Im März 2004 saß nicht nur Deutschrap vor dem Fernseher und schaute fasziniert auf ein maskiertes Schlossgespenst, das uns durch sein Königreich führte. Noch nie zuvor und selten danach hatte HipHop einen solchen Blockbuster produziert wie Sido und Aggro Berlins Chefstratege Specter es mit “Mein Block” taten. Plötzlich konnten Mittelstandskids nicht wegschauen, wie hinter einer bedrohlichen Totenkopfmaske die Vorzüge des Ghettos verbal abfotografiert wurden. Straßenrap war dank Specters Video dunkel und bedrohlich, wurde mit Sidos Textzeilen schelmenhaft aufgelockert und klang durch die Synthilines der Beathoavenz komplett fresh. Bei “Mein Block” kam so viel zusammen. Aggro Berlin wurde zum unangefochtenen Label Nummer 1, Bushido kapselte sich im Schatten Sidos ab und Deutschland erlebte eine Ghetto-Romantisierung. Dabei führten viele Zustände und Zufälle dazu, dass der Song ein Hit wurde.
Der #Deutschrap25-Podcast: Moderatorin Visa Vie und Journalist Jan Wehn diskutieren in der dreizehnten Folge Sidos Block vom 1. bis zum 16. Stock:

Vor dem Block...

SPECTER
Sido und die Jungs trugen das HipHop-Gefühl sehr stark in sich. Unsere Aufgabe als die alten HipHop-Säcke bei Aggro war es, dieses Gefühl zu kanalisieren und klarzumachen, wie wichtig dieses Territorial-Ding ist. Sie repräsentierten schon damals Berlin und das MV, nur dachten sie nicht darüber nach. Aus diesem Bewusstsein entstand “Mein Block”.
PERRY (BEATHOAVENZ)
Specter erzählte uns auf einer Party von einem Typen mit Maske. Damals war Bushido schon bei Aggro am Start. Doch Specter meinte, er wüsste, dass der Maskentyp noch größer wird.
SPECTER
“Mein Block” wurde in Düsseldorf im Studio von Headrush geschrieben, federführend natürlich Siggi. Ich habe als Spielball gedient und den analytischen Teil gesehen, er brachte den Witz rein. Als wir die Songs für das Album fertigstellten, merkte ich, dass wir mit “Mein Block” ein Tool haben, das zu einem Schlüssel werden kann. Auf der einen Seite kann die Straße noch was damit anfangen, da er nicht zu kommerziell war. Auf der anderen Seite hatte es auch was erklärendes. Es konnte unser Profil schärfen und zeigen, wo wir herkommen. Der Block war ein Symbol und damals wurde er noch nicht thematisiert.
PERRY (BEATHOAVENZ)
Wir haben damals Specters Vision von Sido und der Sekte noch nicht gecheckt. Als wir irgendwann eine CD mit dem Sägeblatt bekamen, dachten wir uns: “Wat soll denn dis?” Die ersten Sachen fanden wir ziemlich trashig und dachten nicht, dass das krass durch die Decke gehen wird. Wir haben aber sofort die Authentizität erkannt.
Sido

Sido

© Aggro Berlin

Alle machen Blocks...

SPECTER
Dann fing die Scheiße an. “Mein Block” war auf der Aggro Ansage 3. Auf einmal kam Azad mit einem Block und Hecklah und Coch und Blumentopf. Das hat mich wirklich sauer gemacht. Es wurde zu einem Battle. Nochmal releasen, Remix, auf die JUICE-CD packen, das Video – das war Platzhirsch-Verhalten nach dem Motto: Den Block haben wir gemacht, verpisst euch, ihr Wichser. Wir hatten uns noch nicht abgesetzt, ein Azad war damals viel größer. Ich musste mir überlegen, wie ich den Song weiterhin frisch kriege, weil er ja schon releast war. Wahrscheinlich ließ ich ihn aus Reflex remixen, damit ich eine Version fürs Album exklusiv behalten konnte. Die Frage war auch, ob der Original-Beat von Headrush genug Power hatte. Er klang eher Album-trackig.
PERRY (BEATHOAVENZ)
Wir waren kiffende Skateboard-Kids, die Mukke machen. Der Beat kam komplett aus dem Bauch. Damals war es üblich zu sampeln. Wir hatten aber schon einige elektronische Sounds am Start. Die abgehackten Synthies wurden dann zu unserem Signature-Sound. Diese komische Fake-Gitarre bei “Mein Block” waren irgendwelche Billo-Sounds. Mein Partner DJ Smollface hatte die Idee dazu, und darauf bauten wir dann auf. Specter wollte mehr Drive im Beat haben, er sollte ein bisschen rougher werden. Genau das wurde durch die Umstände, in denen wir Musik gemacht haben, auch im Song widergespiegelt.

Die Studiosession

SPECTER
Die Beathoavenz kannte ich schon länger. Die Jungs hatten für uns den “Weihnachtssong” gemacht, was damals eine absoluter Jackpot war. Das war der erste Türöffner und extrem wichtig. Damals haben Timbaland und Swizz Beatz in den USA den Ton angegeben mit sehr starken Synthilines. Da waren die Beathoavenz in Deutschland mit die ersten. Die Jungs waren auch einfach coole Typen.
PERRY (BEATHOAVENZ)
Wir hatten im Wedding an der Osloer Straße einen Keller im Lagerraum von Teppich-Domäne gemietet. Das war unser Studio. Wir hatten 200 Quadratmeter und vier Räume, von denen gerade mal einer zur Hälfte zum Studio ausgebaut war. Überall waren Mäuse und Ratten als Untermieter, es war also richtig dirty.
Sido war ein relaxter Junge. Er kam mit ein paar Kollegen, unter anderem Bent und Fuhrmann. Der eine sagte immer “Stanni, ich hab immer gutes Ott da”, was auch auf der Original-Version des Remixes drauf ist. Wir haben gesoffen und gekifft, die Energie hat gestimmt. Es war, als ob du einen alten Homie triffst. Sido war noch kein großer Star, aber ich glaube schon, dass ihm sein Potenzial selbst bewusst war. Man hat ein ganz krasses Selbstbewusstsein gespürt, ohne ihn als größenwahnsinnig wahrzunehmen. Das ganze Ding fertig zu machen, dauerte vielleicht 45 Minuten.

Das muss ein Video werden

SPECTER
Als ich den Remix hörte, war mir sofort klar: Das muss ein Video werden. Es war erst ein kontroverses Thema in der Firma, aber zum Glück konnte ich mich durchsetzen. Zum Glück. Beim Videodreh nahmen wir zum ersten Mal Geld in die Hand. 20-30 Mille waren das schon. Später haben wir viel mehr Geld ausgegeben, aber zu dem Zeitpunkt war das ganz schön viel. Weil beim Dreh so gutes Wetter war, hat das Video eine ganz eigene Stimmung, es war nicht grau und böse. Wir wollten uns abheben von den Azads der Welt. Das war uns zu aufgesetzt, es fehlte der Mensch. Uns war wichtig zu zeigen: Wir kommen hier hin und haben verdammt nochmal eine gute Zeit.
Sido

Sido

© Aggro TV

Der ganze Videodreh fühlte sich an, als ob wir zuhause drehen würden. Wir hatten nicht eine einzige Drehgenehmigung. Rund drei Viertel der Statisten kam aus dem Märkischen Viertel. Für die Szene mit der Prostituierten, die die Tür aufmacht, fragten wir einen Typen, ob wir seinen Eingangsbereich filmen dürfen. Das ging alles easy. Ich weiß noch, wie beim Sido-from-the-Block-Interlude alle froh waren, als es abgedreht war. Das Treppenhaus hat so heftig nach Pisse gestunken. Aber es war halt DAS Treppenhaus.
Sidos beste Fähigkeit war es, etwas problematisches und sozialkritisches anzusprechen, aber auf eine schelmenhafte und sympathische Weise. “Mein Block” war die Kinderversion von Härte. Trotzdem konnte die Straße noch was damit anfangen, weil es authentisch war. Sehr viel Humor gepaart mit Brutalität – das ist Westberliner Tradition. Das findest du bei Hengzt, Orgy, Taktloss, Savas. Für mich war das Punk: Unterhalten, während du jemanden anpisst.

Ghetto-Märchen oder Realität?

SPECTER
Keiner hat Sido und der Sekte nach “Mein Block” den White-Trash-Faktor abgesprochen. Und glaube mir, die anderen fanden sich alle cooler. Die Kanacken fanden das immer scheiße, die Maske war auch nichts für die. Am Pallas schwenkte alles in Richtung Bushido. Die Medien waren damals noch recht wohlwollend, auch aufgrund des Weihnachtssongs. Die Maske war dabei eine große Hilfe. Sie ließ für diejenigen, die keine Realität im Block sehen wollten, alles fiktiv wirken. Es war für viele wie ein Ghetto-Märchen und deswegen einfach konsumierbar.
PERRY (BEATHOAVENZ)
Wir machten das Ding fertig und alle fanden es richtig geil. Meine Exfreundin war zu der Zeit Radiomoderatorin. Sie pumpte ihn in der Küche hoch und runter und sagte sofort, dass es ein Hit ist. Dabei hatte ich den Song gar nicht so stark eingeschätzt. Als es dann auf MTV und VIVA losging und er auf Platz 13 gecharchtet ist, dachten wir: ‘Ey, jetzt ist hier ausgesorgt’.
SPECTER
Die ersten Interviews nach dem Video waren ganz komisch. Die Interviewer saßen da, von der Süddeutschen oder so, und haben alles verneint, nach dem Motto: “Aber Jungs, es gibt doch gar kein Ghetto in Deutschland.” Dabei saß der Typ in der Göbenstraße, im Keller vom Puff, 50 Meter entfernt vom Pallas-Gebäude.
Sido

Sido

© Aggro Berlin

Das Danach

PERRY (BEATHOAVENZ)
Damals haben wir gar nicht gecheckt, dass die Rechte am Song immer noch Headrush hatte. Sie haben uns angerufen und angeboten, den Kuchen zu teilen. Eigentlich ein richtig feiner Zug von den Jungs. Normalerweise bin ich ein bescheidener Typ, aber da dachte ich mir: Das ist unser Song! Das lassen wir die Anwälte entscheiden! Ich wusste es nicht besser und lehnte ab. Wir haben an “Mein Block” 500 Euro verdient. Dafür hat uns der Remix das ermöglicht, was wir jetzt haben und machen können. Am Ende vom Video sagt Sido: “Beathoavenz Remix” und das hat alles eingeläutet.
SPECTER
Es war, als würde sich mit “Mein Block” eine Schicht in der Gesellschaft melden, die Deutschland nicht kennt. Das klingt heute absurd. Unterschicht, Proletariat, Asi-Fernsehen, das hatte damals überhaupt niemand auf dem Schirm. Nach dem Video gab es im Rap gefühlt nur noch Blocks. Mich ärgert das. Ich bin HipHoper geworden und eine der Grundattitüden ist: Klauen ist weak. Entweder klaust du und machst eine Hommage oder du setzt noch einen drauf und zerstörst ihn. Es gibt nur die beiden Wege für mich. Das ist auch heute noch ein Problem im Deutschrap: Klauende, uninspirierte Fotzen. Dabei haben es viele gar nicht nötig. Du brauchst nur ein bisschen Mut.

War noch was?

Ist “Mein Block” von Sido wirklich der wichtigste Song des Jahres 2004? Dr. No sieht das anders.

Azad feat. Jonesmann & Bushido “Kopf hoch (Sti Remix)”

Vom Chab zur Ein-Mann-Armee zum Chef. 2004 schloss A-Z-A-D seine persönliche Bozztransformation ab. Er hatte sein eigenes Label. Er hatte die besten Beatmaker (u.a. Sti und Bazzazian). Und er hatte die textliche wie persönliche Reife, um einen maximal pathetischen, dabei aber völlig unpeinlichen Motivationssong wie diesen aufzunehmen. Die eigentliche Sensation jedoch war Bushido auf dem Remix. Als (Aggro-)Berliner war der damals noch weitgehend isoliert, hier connectete er mit FFM und zeigte eine bis dahin ungekannte Tiefe. Bonus: Die Hook sang der ebenfalls sehr besondere Jonesmann, der der Deutschrap-Welt Jahre später einen gewissen Haftbefehl vorstellen sollte. Übrigens: Einen Song namens “Mein Block” hatte Azad auf dem dazugehörigen Album auch. Das machte er halt so nebenbei.

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