Wir haben uns mit Eisbach-Legende und Local Quirin Rohleder zusammengesetzt, um die Geschichte des Eisbachs und die Entwicklung der Surf-Szene in München Revue passieren zu lassen.
Ein Brett, ein Seil und eine Stromschnelle – mehr brauchte Arthur Pauli nicht, um 1971 die erste Flusswelle in München zu surfen, damals an der Floßlände in Thalkirchen. Im Jahr darauf ritt er die Floßlände erstmals ohne Hilfe eines Seils. Ein damals unbedeutender Akt der Selbstverwirklichung, der weitreichende Folgen haben sollte. Denn das Flussurfen gehört heute zu München, wie das Oktoberfest oder die Bavaria und ist darüber hinaus fester Bestandteil der modernen Surfkultur.
Den besten Beweis für diese Behauptung lieferte Surfweltmeister Mick Fanning 2017 mit seinem Besuch.
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In München setzt Mick Fanning auf Süßwasser & Bier
Mick Fanning, Mitch Crews, Jack Freestone und Quirin Rohleder rocken den Eisbach in München.
Von Pionieren, jungen Wilden und geklautem Styrodur
Bis das „Riversurfing“ an der Floßlände und später am Eisbach an Popularität gewinnt, vergehen trotz Arthur Paulis Pioniergeist Jahre. Der Aufstieg Münchens zum internationalen Nabel der Riversurf-Welt beginnt 1975 mit den ersten Riversurf-Meisterschaften, bei denen sich Arthur Pauli zum ersten Bayerischen Meister krönt. In der Folge probieren sich immer mehr reisende Surfer aus den Wellenreit-Hochburgen USA und Australien an den Flusswellen Münchens und tragen den Namen „Eisbach“ in die Welt. Auch die lokale Szene wächst in den Siebzigern und Achtzigern stetig und wird langsam aber sicher zu einer urbanen ernst zu nehmenden Surf-Subkultur – mitten in der Stadt!
Einer der ersten High-Performance-Surfer, die der Eisbach seit seiner Entdeckung hervorgebracht hat, ist Quirin Rohleder. In der Surf-Welt ist der Rapid Surf League Mitbegründer seit den Neunzigern ein bunter Hund. An der Eisbachwelle hat auch er eher blass begonnen, dafür aber kreativ: „Meine erste Welle am Eisbach bin ich auf zurechtgeschnittenen Styrodurbrettern gesurft, die ich mir von Baustellen geklaut habe“, erzählt Rohleder und erinnert damit an einen Ryan Burch für Arme.
Ein Schulfreund hatte Rohleder auf die Flusswelle aufmerksam gemacht, auf der da bereits die „alten Hasen“ um Dieter Deventer und Steffen Dietrich surfen. „Ich bin so lange auf dem Dämmmaterial gesurft, bis mir ein Freund aus dem Urlaub ein Bodyboard mitgebracht hat“, meint Rohleder. Steffen Dietrich verkauft dem jungen Quirin schließlich für 50 D-Mark sein erstes Surfbrett. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.
„Damals gab es kaum junge Leute, die das Surfen am Eisbach regelmäßig machten“, erzählt Rohleder, der von den Deventer und der älteren Garde auch deshalb schnell unter die Fittiche genommen wird. Gemeinsam übertragen sie die klassischen Surf-Manöver vom Meer nach und nach auf den Eisbach und haben dabei immer ein Auge auf die Gesetzeshüter. Denn bis 2010 ist das Surfen am Eisbach verboten. „Wir mussten regelmäßig vor der Polizei flüchten und uns irgendwo im englischen Garten verstecken, bis die Gesetzeshüter wieder weg waren“, lacht Rohleder. „Das hat teils skurrile Formen angenommen, wo uns die Polizei regelrecht gejagt und eingekesselt hat. Im Nachhinein ziemlich absurd, dass die Polizei damals nichts Besseres zu tun hatte.“
Doch das jahrelange Trial-and-Error-Verfahren mit Katz-und-Maus-Charakter zahlt sich aus: „Bis ich den ersten 360er geschafft habe, ist viel Zeit vergangen“, meint Rohleder. „Auch die ersten Airs haben länger auf sich warten lassen. Aber wir haben sie geschafft!“ Wie schnell Progression geht, wenn die Szene lebt, zeigen die Kids von heute. Für sie sind die Tricks Standard, die Rohleder und Co. sich hart erarbeiten mussten und die später von der folgenden Generation an High-Performance Surfern wie Gerry Schlegl und Tao Schirrmacher weiterentwickelt wurden. „Mit Gerry, Tao und auch Flori Kummer kamen die Shove-Its und ähnliche Tricks an den Eisbach“, so Rohleder. Aus Old School ist New School geworden. Auch am Eisbach.
Die Eisbachwelle – eine vom Menschen optimierte Laune der Natur
Zwischen Friedensengel und Haus der Kunst beginnt unmittelbar nach der Prinzregentenstraße der Eisbach. Eine Steinstufe an der Austrittsstelle unterhalb der Eisbachbrücke des hier sehr schnell fließenden Bachs erzeugt eine natürliche Stromschnelle – eine Laune der Natur, die von den Surfern nach und nach optimiert wurde: erst durch das gezielte Verringern der zurückfließenden Kehrwasser, schließlich durch das Anbringen eines Holzbrettes unter Wasser.
„Anfangs ist die Welle am Eisbach nur während der Sommermonate wirklich gelaufen“, so Rohleder. Also nur dann, wenn die Isar wenig Wasser führte. Im Frühling lief sie eher selten. „Bis jemand mit dem nötigen technischen Know-How gecheckt hat, dass vor allem das Kehrwasser links vor der Welle dafür sorgt, dass sich die Welle bei viel Wasser nicht richtig aufbaut“, erklärt Rohleder. „Das war der Punkt, an dem dort die Balken installiert wurden und etwas später ein Holzbrett unter Wasser, um die Welle steiler und stabiler zu machen.“ Seither ist die Eisbachwelle im Grunde ganzjährig surfbar.
Und dann gibt es da noch die Floßlände, rund 8 km flussaufwärts, am Ende des Ländkanals, einem weiteren Abzweig des Isar-Kanals.
Die Floßlände – Brutstätte der nächsten Generation Eisbachsurfer
Die Floßlände ist die kleine Schwester der Eisbachwelle, auch wenn sie die erste war, die Arthur Pauli in den Siebzigern surfte. Denn auf ihr wächst die nächste Generation Eisbachsurfer heran. Weil das Surfen dort deutlich risikofreier ist und Anfänger nicht nur geduldet sondern vielmehr willkommen sind.
Seit sich die IGSM, die Interessengemeinschaft Surfen in München e.V. mit Erfolg für die Rechte und Wünsche der Münchner Surfer einsetzt, hat sich gerade an der Floßlände vieles zum Besseren entwickelt: So hat die IGSM im Juli 2020 mit Hilfe des Münchner Oberbürgermeisters dafür gesorgt, dass das Surfen auf der Floßlände bis vorerst Ende 2021 täglich von 6:00 bis 21:30 Uhr möglich ist. Zuvor lief die Welle an der Floßlände nur fünf Stunden pro Tag und nur gleichzeitig mit den traditionellen Floßfahrten, weil die Stadtwerke München den Ländkanal traditionell nur zu Floßzeiten mit dem nötigen Wasser beschicken. Damit ist seit Mitte 2020 Schluss.
Surfen hat eigentlich immer einen guten Einfluss auf Menschen.
„Bei den Junior Jams, die ich jedes Jahr mit der IGSMan der Floßlände organisiere, sieht man, wie viel Freude die Kids dabei haben, sich in einem sicheren Umfeld auf einer stehenden Welle miteinander zu messen“, bestätigt Rohleder das stetig steigende Interesse der Jugend am Flussurfen in München. Unterm Strich führten ein erweitertes Flusswellen-Angebot und geringere Hürden dazu, dass die Sportart Surfen immer mehr Leuten zugänglich gemacht werde, so Rohleder: „Das kann man nur wollen, weil Surfen eigentlich immer einen positiven Effekt auf Menschen hat.“
München – das Hawaii der Flusssurfer
In der Geschichte des Eisbachs ist das Jahr 2010 das wohl bedeutendste. Es ist das Jahr, in dem das Surfen auf dem Eisbach offiziell legal wird. Und es ist das Jahr in dem der Dokumentarfilm „Keep Surfing“ München endgültig zum Hawaii der Flusssurfer macht – gefürchtete Locals inklusive.
„Die Entwicklung am Eisbach ist sehr natürlich“, meint Rohleder mit Blick auf den Werdegang der Welle und der Szene, die sie umgibt. „Zu meinen Anfängen hattest du eine Core-Crew und sonst niemanden am Eisbach. Wenn da jemand vorbeikam und gefragt hat, ob er das auch mal probieren kann, war es völlig klar, dass man dem sein Brett geliehen hat.“ Doch wie am Meer, hat die Willkommens-Kultur auch am Fluss ein Ende, wenn die Ressource Welle in den Augen der Locals überstrapaziert wird. „Je voller es am Eisbach wurde, desto präsenter wurde das Thema Localism“, bestätigt Rohleder.
Wie man es dreht und wendet, Surfen wird immer populärer – das Flusssurfen am Eisbach ist davon nicht ausgenommen. „Die Szene am Eisbach hat sich, ähnlich der am Meer, immer weiter diversifiziert und sicher auch ein Stück weit professionalisiert“, meint Rohleder. „Du hast jetzt auch am Eisbach die Locals, die Soul-Surfer, die Contest-Surfer, die Leute dazwischen und die nächste Generation an Kids“. Und das ist gut so! Das nachhaltig berauschende Gefühl des Wellenreitens soll und darf niemandem vorenthalten werden. Auch wenn das bedeutet, dass man am Eisbach oder im Line-Up länger warten oder gar Rücksicht nehmen muss. Der Hang Loose Lifestyle verpflichtet – zumindest sollte er das.
Zwischen Mutter Natur, Man-Made-Rapids und Wavepools
Gabriel Medina auf dem Eisbach – lange vor seinem ersten WM-Titel.
© Lorenz Holder/Red Bull Content Pool
Wie eng der Eisbach mit der Geschichte des Surfens verbunden ist, zeigt allein die Menge an internationalen Surf-Stars, die sich bereits am Eisbach versucht haben: Kelly Slater, Mick Fanning, Gabriel Medina, Jamie O‘Brien, Adriano De Souza, die Liste ist lang. Vielleicht gehört der Eisbach sogar auf die Bucket List der Wellen, die man in seinem Leben mindestens einmal gesurft haben muss? Fakt ist: das Flusssurfen ist heute nur eine von vielen Spielformen des Wellenreitens. Denn mit Aufkommen diverser Technologien, künstliche Wellen zu erzeugen, die mobil sind, wird das Buch des Surfens seit einigen Jahren bereits um ein weiteres, spannendes Kapitel erweitert.
„Die erste vom Menschen gebaute Welle, die man überall hinstellen konnte, war die Citywave, wie sie eine Zeit lang am Flughafen in München stand und nun beispielsweise in der Jochen Schweizer Arena in München oder im Wellenwerk Berlin verbaut ist“, erzählt Rohleder. Mit der Rapid Surf League haben Rohleder und Co. das Surfen stehender Wellen zudem seit 2018 in einer Contest-Serie fokussiert, die auf Unit Surf Pools in Flüssen und an Citywave-Standorten in ganz Europa stattfindet. So diversifiziert sich die Welt stehender Wellen immer mehr und entlastet nicht zuletzt Orte wie den Eisbach, weil es entsprechende Alternativen, zu denen nun auch noch immer mehr Wavepools kommen. Ab 2023 wird es sogar in Hallbergmoos bei München einen Wavepool geben!
„Dank des erweiterten Angebots und der geringeren Hürden wird Surfen zunehmend zu einer Freizeit-Aktivität, die man auch mal an einem Wochenende macht, oder ausprobiert, ohne dass man sich ihr komplett verschreiben muss, so wie es damals der Fall war, als es Wellen eben nur am Meer gab“, analysiert Rohleder. So wandelt sich das Surfen von einem aufs Meer beschränkten Lifestyle zu einer Sportart mit Indoor- und Outdoorangeboten auch jenseits der Küsten. Für Surfer und auch den Eisbach reichlich Grund zur Freude. Denn in Zukunft hat man sogar als Eisbach-Local die Qual der Wahl: gehe ich an den Eisbach, auf die Citywave, oder in den Wavepool?