Echter Anpacker: Toni schaffte den Sprung ins BORA-hansgrohe-Team.
© Shamil Tanna
Radsport

Der sprengt jeden Rahmen

Vom Champion auf Ski zum Profi auf dem Rennrad: Anton Palzer, 30, ist nun in zwei Sportarten Weltklasse – weil ihn jetzt Kurven kicken. Und er aufblüht, wenn es richtig eng wird.
Autor: Markus Huber
9 min readveröffentlicht am
Früher Nachmittag, exakt eine Woche vor Weihnachten. Anton Palzer sitzt in einem Hotel auf Mallorca und ist erschöpft, aber zufrieden. Seit knapp einer Woche ist er nun schon auf der liebsten Ferieninsel der Deutschen, doch mit Urlaub hat das, was er hier macht, nur wenig zu tun, eher im Gegenteil. Palzer soll die paar Wochen Nichtstun, die er sich seit den letzten Saisonrennen im Oktober gegönnt hat, aus den Beinen bekommen, und dementsprechend ballert der Mann in diesen Tagen Kilometer. 160 waren es heute Vormittag, 210 gestern, tags zuvor 150, vor drei Tagen 140 – da kommt was zusammen. Auch, weil Mallorca nicht flach wie Holland ist, zumindest wenn man das nicht will: Anton, den alle nur Toni nennen, weil sein Dialekt so unverfälscht bairisch ist, dass man ihn wahrscheinlich schon ab München nicht mehr versteht, hat in den paar Tagen Malle mehr als 10.000 Höhenmeter überwunden.
Mit 160 Vollwahnsinnigen auf eine Biegung zurasen, die zu eng für alle ist …
Aber so ist das eben im Dezember bei den Radprofis. Sie trainieren, trainieren, und wenn sie damit fertig sind, trainieren sie nochmals. Noch im alten Jahr muss ein Radprofi die Batterien aufladen und den Grundstock dafür legen, dass er halbwegs fit durch die kommende Saison strampelt. Rennen gibt es in dieser Zeit keine, und wenn man so will, ist das der erste große Unterschied zu Palzers alter Karriere. In der wäre im Dezember Showtime gewesen, der absolute Höhepunkt des Jahres. Nun hockt er aber auf Mallorca, wo um diese Jahreszeit fast niemand ist außer ihm und seinen Mannschaftskollegen, weil, ja, auch die Balearen ungemütlich sein können. Aber genau so wollte er es.

Wie wild über den Watzmann

Willkommen in der Welt von Toni Palzer aus der Ramsau bei Berchtesgaden. Der Mann, der da auf dem Sofa sitzt und über das Leben eines Radprofis spricht, ist einer der erstaunlichsten Sportler unserer Tage. Palzer, also „da Doni“, wie er sich selbst ausspricht, ist erst 30 Jahre alt, hat aber bereits eine extrem erfolgreiche Karriere hinter sich. Er war bis vor kurzem einer der weltweit erfolgreichsten Skibergsteiger. Er war Welt- und Europameister bei den Junio­ren. Bei den Herren holte er unter anderem vier WM-Medaillen, gewann mehrere Weltcups und holte den Gesamtweltcup in der Vertical-Variante (ohne Abfahrt).
Anti-Ferien-Insel: Auf Mallorca trainiert Toni für die neue Saison.

Anti-Ferien-Insel: Auf Mallorca trainiert Toni für die neue Saison.

© Shamil Tanna

Aber auch ohne Ski kann Palzer ganz gut bergauf laufen: Bei den internationalen Top-Bergläufen Großglockner und Hochfelln wurde er jeweils Zweiter. Das vielleicht Irrste an Toni ist aber das, was er auf dem Watzmann, seinem Hausberg, aufführt. Da hält er seit Juni 2020 den Rekord für die schnellste je gemessene Überquerung: Exakt 2 Stunden und 47 Minuten benötigte Toni für die 23 Kilometer mit ihren 2300 Höhen­metern und mehreren Kletterpassagen. Zum Vergleich: Gut trainierte Bergsteiger brauchen dafür an die 15 Stunden, die Watz­mann-Runde ist eigentlich eine gemütliche Zwei-Tages-Tour.

Champions League auf Rädern

Gemütlich ist aber nicht so das Ding von Toni, deswegen ist er jetzt auf Mallorca und bereitet sich auf seine dritte Saison als Radprofi vor. Toni, der Skibergsteiger, ist seit zwei Jahren Fahrer des deutschen BORA-hansgrohe-Teams. Das ist nicht irgendeine Mannschaft, sondern ein WorldTour-Team, eine der größten und professionellsten Truppen im Radsport. BORA-hansgrohe ist Champions League: So ziemlich jeder Radprofi hätte gern einen Vertrag bei diesem Team, doch es gibt nur Platz für 29 Fahrer. Toni Palzer gehört also bereits in seiner zweiten Sportart zur absoluten Weltspitze. Mit Training, sagt Toni. Seit seiner Kindheit läuft er – vorzugsweise bergauf, aber sehr viel andere Möglichkeiten hat man im Berchtesgadener Land auch nicht.

46 Min

Anton Palzer: Breaking the Cycle

Anton Palzer versucht den Umstieg vom Bergsteigen zum Straßenrennsport.

Englisch

Schon Tonis Vater war deutscher Skibergsteig-Meister, und Toni wollte Profisportler werden, seit er mit sechzehn seine erste deutsche Meisterschaft gewann. Okay, er hat eine Lehre als Feinmechaniker absolviert, aber viel mehr als ein Plan B war das nicht. Schon in seiner Karriere als Skibergsteiger zeichnete ihn die absolute Besessenheit für seinen Sport aus. Er trainierte wie ein Verrückter und gab sich nie mit dem Erreichten zufrieden. Im Weltcup galt er als einer der professionellsten Athleten, arbeitete mit Sportwissenschaftlern, Ärzten und Ernährungsberatern. Schon da wusste Toni, dass man den Sport ganzheitlich verstehen muss, um wirklich schnell zu sein.
Lange Beine: Im Dezember ist es auch auf Mallorca zu kalt für kurze Hosen.

Lange Beine: Im Dezember ist es auch auf Mallorca zu kalt für kurze Hosen.

© Shamil Tanna

Aber ganz offenbar hatte sich bei Toni Palzer nach allen Erfolgen eine Sättigung eingestellt, der Erfolg wurde zur Normalität, und genau das ist es offenbar, was ein Typ wie Toni nicht aushält. Neben dem Skibergsteigen intensivierte er seine Karriere als Bergläufer, er startete beim Red Bull Dolomitenmann, beim Drei-Zinnen-Lauf, auch bei den Berglauf-Sprints vom Red Bull 400, bei denen es Skisprungschanzen raufgeht. Er brauchte den Reiz des Neuen. Aber irgendwann wusste er auch beim Berg­laufen, wie der Hase hoppelt, und spätestens im Jahr 2020, nach der Watzmann-Runde, suchte er eine neue Herausforderung.
„Es war immer derselbe Trott“, sagt er, „ich kannte alles, immer dieselben Weltcup-Orte – ich war fertig mit dem Skibergsteigen.“ Das solle jetzt nicht über­heblich klingen, ergänzt Palzer, er liebte seinen Sport. Aber sogar die Aussicht, 2026 eine Olympiamedaille zu holen – Skiberg­steigen wird bei den Spielen in Mailand und Cortina erstmals olympisch sein –, kickte ihn nicht mehr so richtig.

Wie würde er unter Stress reagieren?

Und dann kam ihm die Idee mit dem Radfahren. Einer von Tonis besten Freunden ist der österreichische Radfahrer Lukas Pöstlberger. Die beiden trainierten öfter gemeinsam, irgendwann brachte Pöstlberger Palzer mit seinem Teamchef Ralph Denk zusammen, und nach ein paar sportmedizinischen Tests wurde aus Toni, dem Weltklasse-Skibergsteiger, Toni, der Radprofi. Die Verwandlung ist in der Dokumentation „Anton Palzer – Breaking the Cycle“ fest­gehalten, und darin sieht man gut, mit welch unbedingtem Willen Palzer an die neue Her­ausforderung heranging und wie er dabei versucht hat, jegliche Unsicherheit im Keim zu ersticken.
Und dann spürst du bei Tempo 60 den Lenker eines Gegners am Bein.
Wenn er heute auf dem Sofa auf Mallorca daran zurückdenkt, dann hält er den Karrierewechsel trotzdem für eines der verrücktesten Dinge seiner Karriere. „Klar wussten wir, dass ich Rad fahren kann“, sagt er heute, „es gab die Leistungstests. Aber keiner wusste, wie ich reagiere, wenn ich mit 160 anderen Vollwahnsinnigen mit 80 km/h auf eine Kurve zufahre, die nicht breit genug für alle ist.“
Aufgewachsen in Bayern, unterschreibt Toni schon mal mit „dadoni“.

Aufgewachsen in Bayern, unterschreibt Toni schon mal mit „dadoni“.

© Shamil Tanna

Heute steht fest, dass er richtig reagiert, und das ist bemerkenswert. Anders als alle anderen Profis hat Toni nie Jugendrennen bestritten, das heißt, die vielen Dinge, auf die es beim Radfahren abseits vom Treten ankommt, hat er nicht über Jahre kennengelernt – sondern im Crashkurs auf dem zweiten Bildungsweg. Die deutlich höhere Geschwindigkeit, mit der man im Rennen fährt, wäre da gar nicht so sehr das Pro­blem, sagt er. „Klar fährst du in der Gruppe 10 km/h schneller als allein, aber du bist durchgehend im Windschatten, das ist so, als würdest du hinter einem Auto nachfahren.“
Was man aber vor dem ersten Rennen noch nicht kennt, das ist der psychische Stress. Bei einer großen Rundfahrt ist es im Fahrerfeld permanent laut, die Zuschauer am Straßenrand schreien durcheinander, dann sind da die Begleitautos, die Hubschrauber. Und dann sei es einfach immer verdammt eng, sagt Palzer: „Du bretterst mit 60 km/h am Anschlag vor dich hin, und auf einmal spürst du den Lenker von einem anderen Rad am Oberschenkel. Wenn der bei dir einhängt, dann fliegst du. Das musst du im Kopf erst einmal verarbeiten, weil natürlich machst du dir da in die Hosen. Aber irgendwann geht das weg.“

„Goschn poliern“ für Profis

Warum setzt sich Toni Palzer offenbar auch in seiner zweiten Sportkarriere durch? Okay, es gibt ein paar Dinge, die er vom Skibergsteigen her kennt, vor allem in der Trainingslehre. Beide Sportarten sind Ausdauersportarten, ganz weit runtergebrochen müssen für beide Sportarten ähnliche Trainingsprogramme absolviert werden, aber es gibt beim Skibergsteigen wohl nichts, was mit dem Stress im Hauptfeld vergleichbar ist, wenn alle Fahrer mit vollem Karacho auf eine Kurve zudonnern. Aber am Ende geht es in beiden Sportarten darum, ständig seine Leistungsgrenzen auszureizen und zu wissen, wann man darüber hinaus­gehen muss. Palzer kann das, er habe, wie er selbst sagt, wirklich kein Problem, sich im Training und im Rennen zu quälen und sich „stundenlang in die Fresse zu hauen“. „#goschnpoliern“ schreibt Toni, der Bayer aus Leidenschaft, hinter viele seiner Insta­gram-Posts. Und vielleicht braucht man genau das, um erfolgreich zu sein.
Steiles Pensum: Mehr als 10.000 Höhenmeter sam­melt Toni auf Mallorca.

Steiles Pensum: Mehr als 10.000 Höhenmeter sam­melt Toni auf Mallorca.

© Shamil Tanna

Aber zweifelsohne ist der Job als Radprofi für Palzer auch noch auf einer anderen Ebene eine Herausforderung. Zum ersten Mal in seinem Leben ist er Teil einer Mannschaft. Für jemanden, der immer Einzelkämpfer war, ist das eine Umstellung, denn Radfahren ist nur bis zu einem gewissen Niveau Einzelsport. Ohne seine Teamkollegen hat man unter Profis keine Chance. Und Palzer ist nicht der Star seiner Mannschaft. Im Gegenteil. Er hat im Team die Rolle eines Helfers, eines sogenannten Wasserträgers. Das heißt, er soll bei den Rennen den Stars seiner Mannschaft Windschatten geben, er soll Löcher zufahren, wenn sich Ausreißergruppen gebildet haben, Wasserflaschen und Regenjacken von den Betreuerfahrzeugen holen. Aber wenn es um die Tagessiege geht, wird Palzer auch in diesem Jahr noch nichts mit der Entscheidung zu tun haben.
Ich weiß, das sind Lehrjahre. Aber ich bin Vollblutsportler und will am Ende gewinnen.
Der beste Skibergsteiger der Welt, der Weltcupsieger, Vizeweltmeister und Eu­ropameister wartet auch in seinem dritten Profijahr auf seinen ersten Radrennsieg. „Ich habe das immer gewusst“, sagt Toni Palzer, „aber natürlich ist das keine ganz leichte Situation für mich. Ich weiß ja, dass Erfolg was Schönes ist, und bin stolz auf das, was ich gewonnen habe.“
Toni fährt ein Specialized S-Works Tarmac SL7.

Toni fährt ein Specialized S-Works Tarmac SL7.

© Shamil Tanna

Seit er Radprofi ist, lernt er, dass Gewinnen schön, aber offenbar nicht alles ist. Und außerdem: Wer sagt, dass man nur dann gewonnen hat, wenn man selbst als Erster über die Ziellinie gefahren ist? „Beim Fußball wird der Torwart auch selten ein Tor schießen, trotzdem ist er ein Sieger, wenn die Mannschaft gewinnt“, sagt Toni. Im Teamsport Radrennfahren ist das ganz bestimmt so, darum werden die Preisgelder stets unter allen Fahrern aufgeteilt.
Aber natürlich möchte er noch mehr. „Ich gebe mich mit dem nicht zufrieden, und ich weiß, dass das jetzt Lehrjahre sind. Aber ich bin Vollblutsportler, und am Ende möchte ich schon wieder einmal gewinnen.“
Und jeder, der Toni Palzer kennt, glaubt, dass das irgendwann auch so sein wird. Vielleicht noch nicht 2023. Aber Toni , der Freund der Torturen, kommt ja auch gerade erst auf Touren.

Tritt it like Toni!

Von der Trainings-Challenge ins Profi-Team: Diese Chance bietet das Scouting-Programm Red Bull Junior-Brothers Fahrern der Jahrgänge 2006 und 2007. Bewerber absolvieren zunächst vorgegebene Segmente auf Strava oder Zwift. Die Besten erhalten eine Einladung zum Performance Camp im Athlete Performance Center von Red Bull in Österreich. Schließlich erhalten zwei Fahrer Profi-Verträge im U19-Team „Auto Eder“ von BORA-hansgrohe – und werden offizielle Red Bull Athleten. Alle Infos gibt's hier.

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"Wenn du deine Komfortzone nicht verlässt, kannst du dich nicht weiterentwickeln!"

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