Biohacking
Wunderwaffe Eisbaden: Das bringt der Sprung ins kalte Wasser
Biohacker Andreas Breitfeld und Kälte-Expertin Josephine Worseck über Wirkung, Vorteile und Risiken einer alten Therapie, die wieder (zurecht) voll im Trend liegt.
Egal ob am Leopoldkroner Weiher, im Augstsee (wie Rekordschwimmer Josef Köberl am Bild oben) der Isar oder an der Donau, egal ob Stadt oder Land: Eisbaden ist beliebter denn je. Ziemlich genau 200 Jahre nach der Geburt des Pfarrers Sebastian Kneipp, der die Heilkraft der Kälte schon im 19. Jahrhundert erkannt hatte, erfährt das Thema eine Nachfrage, die man glatt als Boom bezeichnen kann. Mir ging es nicht anders, als ich mich vor rund sieben Jahren auf die Biohacking-Reise begab, fand ich das Thema Kälte von Anfang an spannend. Nicht zuletzt, weil es dazu ausreichend Studien und eine stabile Forschungslage gab. Allerdings war der Einstieg eine ziemliche Herausforderung. Heute tauche ich (fast) täglich für rund fünf Minuten in eine modifizierte Kühltruhe, die ich als Eisbad nutze. Sicher etwas extrem, aber morgens besser als jeder Kaffee und aufgrund der Synergieeffekte eine tragende Säule in meinem System.
Die meisten verbinden Eisbaden mit einem hochcharismatischen, niederländischen Ex-Postboten namens Wim Hof, der mithilfe von Atemtechnik und Abhärtung beweist, was alles möglich ist und zurecht für viele eine Inspiration darstellt. Getrieben von der Idee, mit Hilfe seiner Methode ein einfaches Mittel im Kampf gegen Depressionen, Entzündungen (Depressionen gelten ja teilweise auch als Mikro-Entzündungen im Hirn) und zur Stärkung von Immunantwort und Herz-Kreislauf-System (wieder-)entdeckt zu haben, hat Wim an einer Vielzahl von Studien teilgenommen und zig weitere initiiert. Heute gibt es ein globales Netzwerk an Wim-Hof-Instruktoren, die Einsteigern helfen, sich an die Kälte zu gewöhnen, unsere Expertin war eine der ersten …
Unsere Expertin
Auch Dr. Josephine Worseck „stolperte“ als promovierte Molekularbiologin zunächst über die Studien, an denen Wim Hof beteiligt war, bevor sie nach Holland reiste und letztendlich bei Wim persönlich ihr erstes Eisbad nahm. Der Rest ist Geschichte. Als die erste deutsche Wim Hof Method (WHM) Trainerin führte Josephine eine Vielzahl von Menschen lächelnd ins Eis, bevor sie mit „Die Heilkraft der Kälte“ (Riva-Verlag) das beste (deutschsprachige) Buch zum Thema veröffentlicht hat.
Ich habe Josephine bei einem WHM Training kennengelernt, das sie vor einigen Jahren bei mir im Lab durchgeführt hat. Häufig nutze ich sie als „Telefon-Joker“, wenn ich eine knifflige Frage rund um Kälte habe. Zudem bringt Josephine einen Aspekt in das Thema ein, der bei mir vermutlich nicht so rüberkommt: Die Entspanntheit mit der Josephine der Kälte begegnet, ist ansteckend und reicht weit über die Physiologie hinaus. Dementsprechend freue ich mich sehr, dass uns Josephine auf unserer Reise in die Kälte „guided“. Informationen zu Josephine findest du übrigens auf ihrer Homepage.
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Warum in die Kälte?
Die Frage nach dem Warum, nach dem Sinn der Sache ist vermutlich (außer einem ziemlich „coolen“ Foto für den Social Media Account) das erste, was in den Sinn kommt. Die Antwort von Josephine Worseck: „Die Datenlage ist eindeutig: Kälte senkt Entzündungswerte, stärkt das Immunsystem, trainiert das Herz-Kreislaufsystem, wandelt (schlechtes) weißes Fett in (gutes) beiges um, wirkt stimulierend auf die Mitochondrien, hebt die Stimmung etc. Alles in allem beinahe ein Allheilmittel gegen Alltagskrankheiten … Zusätzlich trainieren wir einen entspannten Umgang mit Stress.“ Merke: Wenn du nach einem Eisbad müde wirst, kannst du sicher sein, dass du zu lange im Eisbad warst ...
Braunes, weißes und beiges Fett
Fett ist nicht gleich Fett. Wir haben an unserem Körper zwei bis drei verschiedene Fettarten, das weiße (schlechte) Depotfett findet sich oft am Bauch oder den Love Handles an der Hüfte. Es wird mit Entzündungen, erhöhtem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und zu hohem Östrogen-Niveau beim Mann in Verbindung gebracht. Das braune Fett bekommt seine Farbe von den (braunen) Mitochondrien und ist ein stoffwechselaktives Fettgewebe, welches dein Wiener Schnitzel direkt in Energie umwandeln kann. Das beige Fett ist eine kürzlich entdeckte Zwischenform. Eisbäder und kalte Duschen, Schlotter-Wanderungen und Co helfen dem Körper aus dem bösen weißen Fett gutes beiges bzw. braunes zu machen, das dann selbst wieder mehr Energie verbraucht … Wenn du es ganz genau wissen möchtest: Verantwortlich für die wundersame Umwandlung ist der Botenstoff Succinat, der unabhängig von der Adrenalin-Freisetzung durch die Kälte auf die Reise geschickt wird. Dokumentiert im Magazin „Nature“ – aber Propeller-Hut aufsetzen, ist ziemlich nerdig.
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Wann in die Kälte?
Tatsächlich gibt es ein paar Grundsätze, die rund um das Thema Timing zu beachten sind:
- DO: Vor und während Training und Wettkampf kann Kälte leistungssteigernd wirken, wer da tiefer einsteigen will, möge bitte einfach Dr. Craig Heller auf Youtube suchen. Der Mann forscht an der amerikanischen Stanford Universität zu diesem Thema. Kälte erhöht die Lichtdurchlässigkeit der Haut, ideal also vor Photobiomodulation, also Rotlichtexposition (kennen wir vom Baden im Frühsommer), Kälte kann einen Energieschub bewirken, da Adrenalin freigesetzt wird, also immer dann ideal, wenn du einen kleinen Kick brauchst.
- DON'T: Nach dem Training sind ausgiebige Kälteexpositionen keine gute Idee, da sie Hypertrophie (Muskelwachstum) unterdrückt und kurz vor dem zu Bett gehen steht das freigesetzte Noradrenalin dem Schlaf im Weg. In beiden Fällen aber gilt, die Dosis macht das Gift, und eine kurze Abkühlung geht immer. Dennoch teilen unsere Expertin und ich die Vorliebe für Eisbäder am Morgen und warme Bäder am Abend…
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Wie in die Kälte?
Grundsätzlich rät Josephine mit kalten Duschen nach der Reinigungsdusche zu beginnen und sich Schritt für Schritt von ca. 20 Sekunden auf ein bis zwei Minuten hochzuarbeiten. Alternativ sind auch Wechselduschen eine gute Idee, um sich an die Kälte heranzutasten. Laut Josephine Worseck kannst du bereits mit Wechselduschen dein Herz-Kreislaufsystem trainieren. Nach rund zwei Wochen Kälteadaption kannst du den nächsten Schritt wagen.
Gerade im Herbst ist der Weg in die Kälte nach dem Milon-Prinzip die bestmögliche Wahl. So wie der griechische Ringkämpfer Milon der Sage nach damit begonnen hat, täglich ein Kalb auf den Schultern zu tragen und irgendwann in der Lage war, mit einem ausgewachsenen Stier durch die Gegen zu spazieren, tastest du dich an die Kälte im Herbst heran. Angenommen, das Wasser hat noch um die neun Grad Celsius, dann ist das zwar kalt, aber nicht soooo kalt. Dementsprechend könntest du halbwegs easy für ein paar Minuten im Wasser verharren.
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Wie lange bei welcher Temperatur in die Kälte?
Angenommen du schaffst es ein bis zwei Mal die Woche in die Kälte – so wie das Josephine empfiehlt –, gewöhnst du dich an den Effekt ziemlich schnell, was zur Folge hat, dass du in ein paar Wochen auch mit deutlich geringeren Wassertemperaturen klarkommst. Grundsätzlich empfiehlt Frau Doktor übrigens eine „Temperatur = maximale Verweildauer“-Formel, wenn es um die allgemeinen Benefits von kalter Thermogenese im Wasser geht:
- 10 Grad = 10 Minuten
- 9 Grad = 9 Minuten
- 8 Grad = 8 Minuten
- usw.
- ab 2 Grad und unterhalb sind dann auch tatsächlich zwei Minuten im Wasser ausreichend…
Solltest du es mit dem Eisbaden besonders ernst nehmen und schon über etwas Biohacking-Infrastruktur verfügen, dann haben wir noch zwei detailliertere Rezepte für dich:
Der Fett-Umwandler
Das eine ist aus der Studie im Magazin „Nature“ abgeleitet, hilft dir nachweislich bei der Fett-Umwandlung und lässt sich im Eisbad besser erzielen als unter der Dusche:
- Wähle eine Wasser-Temperatur, die dich binnen 2-3 Minuten zum Zittern bringt.
- Inklusive der Schultern in Kälte. Das meiste braune Fett ist um den Schultergürtel zu finden und will unbedingt mitgekühlt werden. Wenn das Zittern losgeht, mindestens eine, besser zwei Minuten aushalten, dann raus aus der Kälte – nicht abtrocknen.
- Idealerweise noch bis zu zwei Minuten Nachzittern, dann wieder zurück ins Wasser.
- Für maximale Effizienz: Rein-Raus-Rhythmus fünf Mal wiederholen.
- Freu dich über den Effekt und buchstabiere S U C C I N A T.
Die Cardio-Alternative
Du hast Zugang zu einer Sauna oder Infrarot-Kabine und zu einem Eisbad? Dann ist das Protokoll vielleicht was für dich:
- 30 Minuten Sauna (80 Grad) oder Infrarot-Kabine (60 Grad).
- 30 Kniebeugen.
- Ab ins Eisbad, bis zu den Ohren ins Wasser, nur der Mund/die Nase bleibt draußen. Wenn du dich an die Kälte gewöhnt hast, ca. zwei bis drei Minuten aushalten, bevor du den Kopf komplett eintauchst.
- Raus aus dem Wasser, 30 Jumping Jacks o.ä. und schön auf das Ausatmen konzentrieren, dann wird dir schnell wieder warm.
- Je nach verfügbarer Zeit zwei bis drei Mal wiederholen.
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Risiken und Vorsichtsmaßnahmen
Tatsächlich kommen wir bei dem Thema Eisbaden um eine Handvoll Vorsichtsmaßnahmen nicht herum:
- Zu zweit ist es besser: Ein Freund, der aufpasst, ist gerade am Anfang eine sehr gute Idee.
- Abkühlen: Lass dir ein bisschen Zeit, bevor du nach dem Training oder der Sauna ins Wasser gehst (nie springen) – Schockgefahr.
- In Eislöchern niemals abtauchen, wenn auch die Arme unter der Eisdecke sind. Auch in Seen und Weihern kann es Strömungen geben, die dich vom Einstiegsloch wegtreiben. Dann findest du womöglich den Ausstieg nicht mehr. Klingt komisch, ist aber so und leider auch schon tödlich ausgegangen…
- Easy does it: Eisbaden ist kein Wettkampfsport! Du musst nicht länger als dein Bekannter im Eis bleiben. Eisbaden ist letztendlich ein archaischer Biohack, keine Vergleichssportart.
- Wenn du vom Eisbaden müde wirst, PAUSE machen. Müdigkeit nach dem Eisbaden bedeutet, dass deine Adreanlin-Produktion nicht mehr richtig funktioniert. Das ist ein sicheres Zeichen, dass du dir zu viel zumutest. Schalte ein paar Gänge zurück, egal ob es um Kälteadaptation, Sport oder Arbeit geht.