Palzer im Interview: Sprüche im Peloton, das Frühjahr und der Giro-Traum
Toni, Du gehst nach der Vertragsverlängerung bei BORA-hansgrohe in Deine dritte Saison auf dem Rad. In wie weit hat sich das eigene Mindset verändert?
Im April 2023 sitze ich genau drei Jahre auf dem Radl - und bin immer noch der gleiche Toni (lächelt). Dafür hat das Projekt ,Berufsradfahrer’ erste Früchte getragen. Wo es am Anfang das Ziel war, einfach nur im Peloton mitzuhalten, habe ich jetzt das Selbstvertrauen zu sagen: Ich möchte eine noch größere Rolle bei BORA-hansgrohe spielen. Sei es als Helfer oder als Außreißer auf eigene Kappe.
Und im Peloton: Wirst Du hier als vollwertiger Radprofi wahrgenommen?
Meine Geschichte zog derart große Kreise, dass ich von vielen Fahrer auf meine Karriere als Skibergsteiger angesprochen wurde. Je nach Wetterlage kamen dann auch mal Sprüche wie: ,Ist es nicht gescheiter, wenn du auf Skiern antrittst’. Nach inzwischen etwa 100 Renntagen kann von Rookie keine Rede mehr sein, ich spüre den Respekt im Peloton.
Deine inspirierende Story erzählst Du auch in der Doku „Breaking the Cycle“. Welche Szene hat Dich am meisten emotionalisiert, als Du sie erstmals selbst angesehen hast?
Ganz ehrlich: Ich habe den ersten Rough Cut gesehen und beschlossen, auf die nächsten Cuts zu verzichten und mich bei der Film-Premiere überraschen zu lassen. Als dann die Szenen von meiner letzten Skibergsteiger-WM (Vize-Weltmeister, Anm. d. R.) liefen, war das einerseits brutal emotional. Gleichzeitig haben mich die Bilder auch zum Nachdenken gebracht.
Worüber?
Mir wurde bewusst, dass ich als Sportler lange Zeit auf einem Podest stand. Oder besser gesagt: stehen durfte. Damals war es vielleicht selbstverständlich, heute beurteile ich es anders. Mal aus der Perspektive eines Zuschauers gesehen, ist das Punkt von ,Breaking the Cycle’, wo jeder einen tiefen Einblick davon bekommt, was ich alles aufgeben musste und wie groß die Tragweite der Entscheidung war, die Sportart zu wechseln.
Toni Palzer im Trainingslager mit den Red Bull Junior Brothers.
© Olaf Pignataro / Red Bull Content Pool
Zurück zur Saison 2023 mit BORA-hansgrohe: Ende Januar hast Du bei der Mallorca Challenge die ersten Renn-Kilometer gesammelt. Wie geht es im Frühjahr weiter?
Seit Ende Dezember toure ich quasi zwischen Mallorca und Gran Canaria hin und her: Trainingscamp mit dem Team, mein individuelles Trainingslager und anschließend die ersten drei Renntage. Nun geht es weiter auf spanischen Straßen durch die Regionen Valencia, wo wir bestenfalls den Erfolg von Alex Vlasov aus dem Vorjahr wiederholen möchten, und Katalonien.
Im Mai startet dann die erste Grand Tour. „Goschn polieren beim Giro“ - geht auch dieser Traum bald in Erfüllung?
Jede Grand Tour pusht meine Entwicklung. Wer mich kennt, der weiß aber: Ich bin ein riesiger Fan vom Land Italien und eben dem Giro. Bis dahin gilt es, viele gute Rennen zu fahren. Am Ende muss das Team die Entscheidung beim Line-Up treffen, was durch den Triumph im Vorjahr sicher nicht leichter wird.
Passendes Stichwort: Im Rosa Trikot sorgte Jai Hindley für einen der größten Erfolge der deutschen Radsport-Historie. Wann hast Du vom Teamerfolg erfahren?
An dem Tag des Einzelzeitfahrens in Verona befand ich mich - zusammen mit meinem guten Freund Lukas Pöstlberger - im Höhentrainingslager. Auf Grund des schlechten Wetters stand eine harte Rollen-Session auf dem Plan. Kurzzeitig kam gar die Idee auf, alles zusammenzupacken und zum Etappenort zu reisen. Das haben wir aber wieder verworfen und uns die Jubel-Bilder im TV angesehen.
Als Teil eines Teams musst Du auch Kompromisse eingehen, zuvor warst Du als Skibergsteiger ein Einzelkämpfer. Wie gelingt diese Umstellung?
Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir das zu Beginn auch einfacher vorgestellt. Aber: Sieben Fahrern pro Team bzw. acht bei einer Grand Tour machen den Radsport oft zu einer Taktik-Schlacht. Du musst verinnerlichen, dass bestimmte Fahrer ,geopfert’ werden müssen, um andere in Position zu bringen und Erfolge einzufahren. Der Teamgeist bei BORA-hansgrohe hat mir dabei geholfen.