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Primož Roglič während eines Shootings für die Einführung von Red Bull - BORA - hansgrohe im Juni .2024.
© Joerg Mitter/Red Bull Content Pool
Radsport
Primož Roglič: Der Radprofi, der Rückschläge in Showdowns verwandelt
Vamos, Primoz! Als vierfacher Vuelta-Sieger übermalt der Star von Red Bull - BORA - hansgrohe einmal mehr die schwarzen Sturz-Momente seiner Karriere.
Autor: Christof Gertsch
10 min readUpdated on
Vršič-Pass oder Picón Blanco? Trbovlje oder Madrid? In beiden Fällen wäre ein Slowene der beste Tour-Guide, den sich Hobby-Radfahrende wünschen könnten. Zumindest, wenn dieser Primož Roglič heißt. Die spanischen Gassen kennt der Vuelta-Rekordsieger inzwischen genauso aus dem Effeff wie die in seiner Heimat. Und ganz besonders den Broadway von Madrid.
Uno, dos, tres - dreimal hüllte der Kapitän von Red Bull - BORA - hansgrohe die Shopping- und Theater-Meile entlang der Gran Via in knallrote Farben. Auch 2021, als die spanische Grand Tour ausnahmsweise im Pilgerort Santiago de Compostela endete, war das Maillot Rojo fest in den Händen des Slowenen.
Die Siegerehrung für Primoz Roglic und Red Bull - BORA - hansgrohe bei der Vuelta 2024.
Roglic-Rot: Der Dress Code auf der Gran Via in Madrid.© SprintCycling

Viva Vuelta: Die unaufhaltsame Rekordjagd auf Heras

Nein, dieser letzte Akt zur Rekordjagd auf Roberto Heras, der die Vuelta zu Beginn der Jahrtausendwende dominierte, war kein Business as usual auf zwei Rädern. Eher der Beweis, dass Roglič' Trittfrequenz nach der Regeneration im Athlete Performance Center vom Sturz im Juli so hinreißend flüssig wirkt. Hintenraus der Ausdruck des puren Willens, als dem 34-Jährigen in der Schlusswoche ein Helfer nach dem anderen wegbrechen sollte.
Ohne die erkrankten Daniel Felipe Martinez und Patrick Gamer sowie den aus Zeitlimit gefallenen Nico Denz hängte der RBH-Kapitän seinen Verfolger Ben O’Connor (Decathlon AG2R La Mondiale Team) am Picón Blanco ab. Nach Rang zwei im abschließenden Zeitfahren lag der Abstand bei 2:36 Minuten. Sprich: Der zweitgrößte Vorsprung, den der Slowene bei seinen insgesamt fünf Grand Tour-Erfolgen herausgefahren hatte.
Viermal die Vuelta - das ist verrückt. Ich will es einfach nur genießen."
Primoz Roglic

Die zwei Blickwinkel der Tour-Niederlage 2020

Bei der Frage nach größter Niederlage des Bike-Stars würden von 100 Menschen mit Know How im Radsport geschätzte neunundneuzig ebenfalls auf ein Zeitfahren verweisen: Tour de France 2020, vorletzte Etappe
Der Einzige, der eine andere Antwort geben würde, wäre Primož Roglič selbst. Der Slowene, Vater zweier Kinder, würde nicht sagen, dass er den Sieg "verloren" hat. Er sieht die Tour de France 2020 nicht als Niederlage an. In seinen Augen ist es ein Erfolg, das größte Radrennen der Welt auf dem zweiten Platz zu beenden. Und hat er damit nicht Recht? Auf jeden Fall hat er es seither nicht mehr unter die Top 3 geschafft.
Aber warum bewertet der Star im Team von Red Bull - BORA - hansgrohe dieses Ergebnis so anders als das Publikum? Roglič trug elf Tage lang das Maillot Jaune (Gelbes Trikot) des Gesamtführenden. Dann kam die 20. Etappe, die für die GC-Wertung entscheidend war: das Bergzeitfahren hinauf nach Planche des Belles Filles. Roglič hat bei harten Anstiegen und beim Zeitfahren definitiv seine Stärken. Deshalb dachten die Leute, die Tour sei entschieden. Primož Roglič sah das nicht so.

Entthront von einem Landsmann

Beim Zeitfahren starten die Fahrer nacheinander, in umgekehrter Reihenfolge der Gesamtwertung. Sprich: Roglič als Letzter, um 17:14 Uhr, nach dem zweitplatzierten Tadej Pogačar. Sein Landsmann ist ebenso hochtalentiert sowie neun Jahre jünger. Roglič lag in der Gesamtwertung 57 Sekunden vor Pogačar, was bei einem Zeitfahren über 36 Kilometer eine halbe Ewigkeit ist. Um 57 Sekunden auf 36 Kilometern zu verlieren, muss man entweder einen schweren Fehler machen. Oder: Die andere Person muss den besten Tag ihres Lebens haben.
Entweder du hast gute Beine, oder du hast keine guten Beine
Primož Roglič
Sätze wie diesen hört man von Roglič ständig. Er hält seinen Kopf zur Seite, lächelt und gestikuliert mit seinen Armen. "Manchmal gewinnst du, manchmal verlierst du." Oder: "Das Rennen ist erst vorbei, wenn es vorbei ist." Oder: "Entweder du hast gute Beine, oder du hast keine guten Beine." Wenn er so redet, bist du dir nie ganz sicher: Meint er es ernst oder versucht er nur, die Reporter-Meute loszuwerden? Aber was wie ein Klischee klingt, kann im Fall von Primož Roglič eine Wahrheit sein, die ihm sehr viel bedeutet. Er sagt diese Sätze nicht nur aus Langeweile oder Unmut. Er sagt sie, weil er sie wirklich ernst meint.

Vom Skispringen zum Profi-Radsport: Die ungewöhnliche Karriere von Primož Roglič

Primož Roglič, 34 Jahre alt, wuchs östlich von Ljubljana in Slowenien auf, lebt jetzt mit seiner Frau und Sohn Lev in Monaco und ist seit dieser Saison der Anführer des Teams Red Bull - BORA - hansgrohe. Er ist davon überzeugt, dass man manche Dinge beeinflussen kann, andere aber nicht. Du kannst zum Beispiel an deiner eigenen Performance und deiner Motivation arbeiten, aber du hast keinen Einfluss auf andere Faktoren. Das Wetter, die Straße und die Straßenbedingungen, die Taktik der gegnerischen Teams oder die Form der anderen Fahrer. Ob du ein Rennen gewinnst oder verlierst, hängt nicht von dir ab, aber ob du alles gibst, schon.
Rolf Aldag mag diese Einstellung. Aldag, der als enorm vielseitiger und mannschaftsdienlicher Fahrer Seite an Seite mit Bjarne Riis und Jan Ullrich gefahren war, ist jetzt Head of Sports bei Red Bull - BORA - hansgrohe. Er lernt Roglič mit jedem Tag besser kennen - und ist von Tag zu Tag mehr beeindruckt: "Primož ist einer der offensten Menschen, die ich je getroffen habe, aber es ist keine naive Offenheit. Er ist kein Träumer. Er ist einfach offen für alle Möglichkeiten. Er weiß, dass die Dinge gut sein können, aber auch, dass sie schlecht sein können. Das ist es, was die Arbeit mit ihm so befreiend macht."
Primoz Roglic aus Slowenien beim Training von Red Bull - Bora -HansGrohe im Juni 2024.
Roglič trainiert hart...© Joerg Mitter/Red Bull Content Pool
Und noch etwas gefällt Aldag an Roglič: Alle vergleichen ihn immer mit früheren Radsport-Ikonen, aber Roglič selbst kann mit diesen Namen oft nicht viel anfangen. Er gehört nicht zu den Radprofis, die als Kind stundenlang vor dem Fernseher saßen und Radrennen verfolgten. Er war kein Fan und kannte die Siegerlisten der großen Rennen nicht auswendig. Als Kind war er nicht einmal ein Radfahrer. Und selbst als Teenager immer noch nicht.
Primož Roglič ist das, was es im Sport immer seltener gibt: ein Generalist. Er war in zwei völlig unterschiedlichen Disziplinen erfolgreich. Er war ein Skispringer, dazu einer der vielversprechendsten der Welt. Erst ein Sturz beendete 2011, als er 21 Jahre alt war, abrupt seine Karriere. Er hatte Probleme mit seinen Knien - und irgendwie keine Lust mehr, die Berge auf Skiern runterzuspringen.

Du musst dünn sein und gute Beine haben

Er verkaufte sein Motorrad - damals sein liebstes Steckenpferd - und nutzte das Geld, um davon sein erstes Rennrad zu kaufen. Er merkte, dass ihm der Sport gefiel. Und dass es Ähnlichkeiten mit dem Skispringen gibt: Du musst dünn sein und gute Beine haben. Aber es gibt auch einen großen Unterschied: Was es in den Beinen braucht, ist nicht (nur) Explosivität, sondern Ausdauer. Roglič hat sich an die Arbeit gemacht. Das hat ihn besonders gereizt: dass im Radsport eine hohe Work-Ehtik braucht, aber du auch für Anstrengungen belohnt wirst. Er ist jemand, der gerne hart arbeitet.
Der Radsport ist seine Passion, aber er sieht ihn auch als Beruf. Er sagt, dass der Radsport nicht nur sein Leben ist, sondern eigentlich das Leben seiner ganzen Familie und dass sein ganzer Alltag darauf basiert. Manchmal kann es hart sein, dafür ist die Erfüllung umso größer, wenn der Erfolg kommt.
Primož Roglič bei einem Shooting zum Start von Red Bull-BORA-hansgrohe im Juni 2024.
Primož Roglič, slowenischer Allrounder von Red Bull-BORA-hansgrohe.© Joerg Mitter/Red Bull Content Pool
Und er hat viele Erfolge und Highlights vorzuweisen, seit er 2013 seinen ersten Profivertrag unterschrieben hat - im vergleichsweise späten Radsport-Alter von 23 Jahren. Besonders auffällig ist seine Vielseitigkeit: Er holte die Gold-Medaille im Zeitfahren, hat gleichzeitig mit Lüttich-Bastogne-Lüttich auch eines der prestigeträchtigsten Eintagesrennen gewonnen. Er gilt als Meister der einwöchigen Rundfahrten, aber seine eigentliche Spezialität bleiben die dreiwöchigen, die sogenannten Grands Tours: Tour de France, Vuelta an España, Giro d'Italia.

Die (gelbe) Vollendung wirkt nah

Er hat den Giro 2023 und sich zum Rekordgewinner der Spanien-Rundfahrt aufgeschwungen. Nur die Tour fehlt noch. Im Jahr 2020 verlor er gegen Pogačar. In den Folgejahren war das Sturzpech sein leidiger Begleiter. 2024 schied er - auf Rang vier liegend - gar unverschuldet aus dem Rennen der Rennen aus.
Manche glauben, dass Primož Roglič' Legacy erst dann Vollendung erreicht, wenn er hier das Gelbe Trikot bis zum Ende trägt. Eine Meinung, die der Slowene selbst nicht teilen kann. Er ist ehrgeizig und möchte die Tour gewinnen, bestenfalls im zweiten Anlauf mit Red Bull - BORA - hansgrohe.
"Weißt du", sagt er im Gespräch, "ich bin mir ziemlich sicher, dass ich kein anderer Mensch wäre, wenn ich die Tour gewinnen würde. Und ich will nicht, dass man sich deswegen an mich erinnert." Er denkt einen Moment lang nach. "Wenn überhaupt, möchte ich, dass man sich an mich erinnert, weil ich der Fahrer war, der immer alles gegeben hat. Wenn ich auf meine Karriere zurückblicke, möchte ich derjenige gewesen sein, der Spaß am Radfahren hatte und diese Freude ausstrahlte."

Roglic vs Pogačar vs Vingegaard: Der Unterschied zu den Rivalen

Tatsächlich ist es ein Vergnügen, Roglič beim Rennen zuzusehen. Er ist kein Spaßvogel wie der Überflieger Pogačar, der die Rennen mit der linken Hand zu gewinnen scheint und immer passend in die Kamera grinst. Doch er ist auch nicht so zurückhaltend wie der Däne Jonas Vingegaard, der Back to Back-Champ von 2022 und 2023, der kalkuliert und dadurch etwas monoton wirkt. Roglič strahlt etwas Geheimnisvolles aus - auf und neben dem Rad. Du beobachtest ihn und fragst dich: Wer ist dieser Mensch? Und was steckt in ihm? Wozu ist er fähig? Einen Eindruck davon bekamen wir letzten Herbst.
Der Berggipfel war in dichten Nebel gehüllt, die Straßen waren kurvenreich und eng, aber die Bilder der Fernsehkameras waren messerscharf. Die ganze Welt konnte sehen, was am Ende der 17. Etappe der Vuelta a España, im langen, brutal harten Anstieg nach Angliru, geschah: Primož Roglič griff seinen Teamkollegen Sepp Kuss an, der im roten Trikot des Gesamtführenden unterwegs war. Zwei Kilometer vor dem Ziel ließ er ihn hinter sich.
Es würde mich nicht zu einem anderen Menschen machen, wenn ich die Tour gewinnen würde.
Primož Roglič
Im Studio von "Eurosport" konnten sich die Experten nach dem Rennen nicht beruhigen. "Das ist illoyal, respektlos", sagte der ehemalige Radprofi Adam Blythe und selbst Sean Kelly, einer der erfolgreichsten Radsportler der 1980er Jahre, schüttelte nur verständnislos den Kopf. Es ist eine ungeschriebene Regel, dass man seinen Teamkollegen nicht angreift. Vor allem nicht, wenn du keine Chance mehr auf den Gesamtsieg hast. Und schon gar nicht, wenn dein Teamkollege praktisch schon der Sieger ist und nur noch ins Ziel rollen muss.

Was macht den Radsport zu einem Teamsport?

Für alle, die mit den Gesetzen im Peloton nicht so vertraut sind, eine kurze Erklärung: Der Radsport - und das macht ihn so einzigartig - ist sowohl ein Team- als auch ein Individualsport. Letzteres, weil am Ende nur eine Person ganz oben auf dem Treppchen steht. Nur eine Person kann als erste die Ziellinie überqueren. Gleichzeitig ist es ein Mannschaftssport, denn niemand schafft es ohne Support bis an die Spitze. In der Regel bleiben die Helfer unsichtbar. Sie bringen ihnen Getränke, schützen sie vor dem Wind und geben das Tempo vor. In seltenen Fällen wendet sich das Blatt jedoch. So wie im letzten Herbst.
Primož Roglič auf dem Rennrad während eines Shootings zur Einführung von Red Bull-BORA-hansgrohe im Juni 2024.
Roglič ist ein Spitzensportler wie aus dem Bilderbuch.© Joerg Mitter/Red Bull Content Pool
Warum hat Roglič die Gelegenheit nicht genutzt, um seinem treuen Helfer zu danken? Diese Frage wurde ihm schon oft gestellt und er beantwortet sie immer auf die gleiche Weise. Erstens: "Das wurde mit Kuss besprochen." Zweitens: "Ich bin nur mir selbst gegenüber verantwortlich."
Ich wäre gerne derjenige, der Spaß am Radfahren hat und diese Freude ausstrahlt.
Primož Roglič
Das mag wie eine maximal egoistisches Statement klingen. Aber es ist auch eine Aussage, die im Wesentlichen den Spitzensport beschreibt. Hier geht es eigentlich nicht ums Gewinnen. Es geht darum, sein Bestes zu geben. Du trittst nicht wirklich gegen andere an, weil du nicht weißt, was die anderen tun, wie fit sie sind oder wie sehr sie sich anstrengen. All das lässt sich genauso wenig beeinflussen wie das Wetter - das liegt nicht in deiner Hand. Du hast es wiederum in der Hand, ob du dein Bestes gibst. Und wenn du noch Reserven im Tank hast, dich aber zurückhältst, dann hast du nicht dein Bestes gegeben. In diesem Fall hast du dich selbst enttäuscht, dann hast du gegen dich selbst verloren.
Es liegt eine große mentale Kraft darin, zu wissen, was in dir steckt und was du nicht kontrollieren kannst. Primož Roglič hat diese Erkenntnis verinnerlicht.
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